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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stück Land mit allem zu bebauen, was man als Mensch zum Leben braucht. In seinen beiden alten Kähnen nisteten Kaninchen. Vom Rudern war er umgestiegen auf den Pferderücken, aber er war ein schlechter Reiter, wie er selbst zugab, und so liefen seine fünf weißen Pferde meist frei herum oder er verlieh sie, wenn irgendwo in einem entfernteren Dorf ein Fest war und man noch Pferde brauchte.
    »Wie gefällt es dir?« fragte Pierre, als sie Hand in Hand in der Abenddämmerung standen und die orangene Glut der untergehenden Sonne die Seen und Inseln, die Tümpel und Schilfsteppen, die Weite des Landes und die Unendlichkeit des Himmels miteinander verband.
    »Unheimlich«, sagte sie leise. »Man ist so klein …«
    »Und man wird so groß, wenn man das begreift. Ich werde das alles malen. Alles! Ich will der Ewigkeit einen Ausdruck geben, Ev, ich werde arbeiten, als gäbe es keine Uhr mehr …«
    Es darf keine mehr geben, dachte er dabei. In mir verrinnt die Zeit und keiner kann sie mehr aufhalten. Aber jetzt ist es furchtbar, das zu wissen. Früher war es eine Tatsache, mit der man lebte, und man lebte sie hinweg mit dem Wissen, daß jede Stunde genossen werden müßte. Jetzt ist es ein Fluch, und jede Stunde, die verrinnt, ist ein feuriges Stück Angst mehr: Wie lange noch, mein Gott? Jetzt habe ich Ev … und das Leben ist plötzlich etwas wert geworden!
    Er wußte jetzt, was Liebe ist … in seiner Lage war es eine Seligkeit, die Angst, Qual und Verzweiflung gebar.
    *
    Die beiden ersten Tage verbrachten sie damit, daß Pierre mit Hilfe des alten Fischers Ev das Reiten lehrte. Sie begriff es schnell, es kam nur darauf an, im Sattel zu bleiben und die Gangarten zu beherrschen. Es waren brave Pferde, die alles tolerierten, und es waren Pferde, die ihre Heimat kannten und immer zurückfanden, wohin die Verrückten auf ihrem Rücken sie immer auch hintrieben.
    Fünf Tage tobten Pierre und Ev durch das Land. Sie ritten mit wehenden Haaren durch den Salzwind, schlossen sich einem Trupp Gardians an und trieben die Stierherden vor sich her, oder sie ritten durch hüfthohe Tümpel zu einsamen Inseln und lagen dort nackt in der Sonne, eingeschmiert mit stinkenden Mückensalben, um die Myriaden von Mücken von sich abzuhalten.
    Sie liebten sich und waren so völlig Natur in der Natur, daß es Ev war, die einmal sagte: »Ich habe einmal vor langer, langer Zeit gehört, daß ein begabter junger Maler Pierre de Sangries in die Camargue gefahren ist, um Unsterbliches zu malen. Oder war das nur eine eurer alten Sagen …?«
    »Noch einen Tag«, sagte Pierre und zeigte auf Bouillon. Er jagte durch das Schilf und scheuchte Reiher auf. »Nur noch einen Tag so leben wie er.« Er richtete sich auf und blickte sich um. »Weißt du, daß hier in der Gegend auch einmal Callac und Madame Coco gelegen haben. Vor sechzig Jahren? Sie haben es nie vergessen.«
    »Ich weiß. Sie waren so jung wie wir und sicherlich auch so verliebt.«
    »Sechzig Jahre!« Pierre ließ sich nach hinten fallen und starrte in den Himmel. »Welch eine Zeit! Unerreichbar.«
    »Warum? Dann wärst du achtundachtzig! Ist das ungewöhnlich?«
    »Und du zweiundachtzig!« Er schloß die Augen. Gott, halte mein Herz fest, bettelte er. Laß mich nicht aufschreien. Wir reden von sechzig Jahren, und es können sechzig Tage, sechzig Stunden sein – »Und wir werden uns wie Callac und Madame Coco an diesen Tag heute erinnern. Nein, nicht erinnern … wir werden ihn erleben. Wir werden nie alt werden –«
    Als er den Doppelsinn dieses Satzes begriff, war es schon zu spät. Ev lag in seinen Armen, und sie liebten sich wieder, und Bouillon saß drei Meter abseits von ihnen unter einem Busch, lugte in die Gegend und hielt Wache.

*
    Anfang September – sie lebten jetzt in der Camargue, als seien sie nie woanders gewesen, und Pierre malte Bilder von einer Ausdruckskraft, wie sie Ev noch nie gesehen hatte – traf ihn wieder der Blitz der Schmerzen.
    Wieder war er allein mit seiner Staffelei, aber diesesmal rollte er nicht mit dem Gesicht über die Palette, sondern er warf sich ins Gras, nachdem er alles von sich geschleudert hatte. Erst dann ließ er dem Schmerz den Triumph, und diesesmal schrie er sogar, denn Ev war weit entfernt und er war mit ›Mes Rues‹ herumgefahren, bis er ein Motiv gefunden hatte: Eine alte Mühle mit zerfetzten Flügeln, die merkwürdigerweise ›La Roche‹ hieß, obwohl nirgendwo ein Felsen zu sehen war. Der Müller hatte ihn begrüßt, ihm einen

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