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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jahren schüttelte ich mich wie in Dauerkrämpfen. Das gab eine Menge Geld, und Jean-Claude, mein Ziehvater aus der Gosse von Paris, saß daneben mit einem verblödeten Gesichtsausdruck und kassierte in einen alten, speckigen, ausgefransten Hut. War es ein schlechter Tag, zogen wir eine ungeheure Schau ab, die noch keiner vor uns geboten hatte: Wir saßen uns gegenüber und knabberten – aus Hunger, sollte das demonstrieren – die dreckige Hutkrempe an. Das ließ den hartgesottensten Bürger nicht mehr kalt. Ein Siebenjähriger, der einen Hut auffressen muß … die Francs klingelten in dem Blechteller, der vor uns auf der Straße stand.
    »Der Doktor hat dir alles gesagt?« fragte Ev. Sie war noch schwach, ein Tropf mit Vitaminen und Traubenzuckerlösung war an ihre linke Armvene angeschlossen. Die Schwester hatte sie gekämmt und das Gesicht gewaschen, sie sah nicht mehr so erschreckend elend aus wie auf dem Rollbett.
    »Du hast es gestern nachmittag schon gewußt, Ev –«
    »Ich habe es geahnt.«
    »Und du hast nichts unternommen …«
    »Ist es nicht besser so … so, wie es jetzt geworden ist, Pierre?«
    »Es war ein Junge, Ev.«
    »Ich weiß es.«
    »Der Arzt meinte, wir könnten noch zehn Kinder machen«, sagte Pierre in seiner gespielten Fröhlichkeit und streichelte ihre Hand.
    »Dazu gehören zwei, Pierre.« Sie blickte an die weiße Decke. Der Schein der Nachttischlampe zauberte einen mehrfachen Lichtring. Draußen trommelte der Regen gegen die Fenster und war die Nacht schwarz, als regnete es Tinte. »Du hast ihm nicht gesagt, daß das Kind nicht von dir ist?«
    »Nein –«
    »Ich auch nicht, Pierre.«
    »Es geht ihn auch nichts an.«
    »Gar nichts, Pierre.« Sie drehte ihre Hand um und umschloß damit seine streichelnden Finger. Mein Gott, wie liebe ich sie, dachte Pierre und schluckte krampfhaft. Wie soll ich das nur durchstehen … als Bruder und Schwester …
    »Kannst du Schreibmaschine schreiben?« fragte sie unvermittelt.
    Pierre wiegte den Kopf hin und her. »Ein bißchen. Mit Zwei Fingern. Der ›Rote Henry‹ hat's mir beigebracht. Er schreibt auch nur mit zwei Fingern, und damit täglich zehn Stories, die keiner lesen will. Sogar drei Romane hat er herumliegen bei den Verlegern. Er bekommt sie nicht wieder, trotz Mahnungen. Er vermutet, daß sich die ganzen Belegschaften um die Lektüre reißen, um sich schiefzulachen. Dabei sind es todernste Themen. Ich schreibe ja auch Geschichten, du weißt es.«
    »Du mußt zu Monsieur Callac gehen, morgen früh gleich, und die Post bearbeiten. Er verläßt sich ganz auf mich.«
    »Callac? Ich zu Callac?! Man soll einen Operationstisch und ein Bett für mich reservieren! Der Alte wird mich verkrüppeln –«
    »Du sagst, ich schicke dich als Aushilfe.«
    »Eher frißt er seine Post auf, als sie von mir bearbeiten zu lassen.«
    »Man kann es versuchen, Pierre. Bitte …« Sie drückte seine Hand. »Ihr kennt Callac alle nicht. In Wirklichkeit ist er so einsam wie wir. Er hat nur seine Bilder und Plastiken, und manchmal glaube ich, er haßt sie sogar, weil sie so völlig sein Leben, sein Individuum aufgesogen haben.«
    »Die Freud-Jüngerin!« Pierre versuchte sein jungenhaftes, sonniges Lächeln. »Der alte Mann und die im Unterbewußten leitende Erotik der Kunst. Eine Komponente des Ödipus-Komplexes –« Jetzt lachte er sogar. »Ev, er tritt mir ganz unfreudisch in den Arsch!«
    »Dann sag zu ihm: ›Pardon, Monsieur Callac‹ und setz dich an den Schreibtisch. Er wird dir einen Kognak anbieten.«
    »Callac? Nie! Der verflucht sogar den Geruch von Alkohol! Der lutscht nur Mentholbonbons.«
    Ev dachte an die primitive Munddusche und lächelte verträumt. »Die Welt ist voller Wunder, Pierre –«, sagte sie zärtlich. »Geh zu ihm. Versuch es. Weglaufen kannst du immer noch.«
    Pierre blieb, bis die Nachtschwester kam und ihn hinauswarf. Jede Ausnahme läuft einmal ab, und hier war das Maß schon weit überschritten.
    Auf dem abgedunkelten, nur von der Nachtbeleuchtung trist und niederschmetternd erhellten Flur wurde Pierre endlich die Frage los, die ihn schon beim Eintritt in die Station II bedrängt hatte. Ev hatte er nicht damit belästigt, sie schien es auch gar nicht zu bemerken. Sie lag so zufrieden in ihrem Bett, so befreit – im wahrsten Sinne, wenn auch auf schreckliche Art –, daß er geschwiegen und sich von ihr mit einem Kuß auf die Stirn – brüderlich, es tat innerlich sehr weh – verabschiedet hatte.
    »Schwester«, sagte er jetzt.

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