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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich jeder so ungeduldig zeigen würde –«
    »Warum hat man Ev noch nicht herausgebracht? Was macht man mit ihr? Warum dauert das so lange?« Er schrie plötzlich, obgleich er es gar nicht wollte, aber dieses Schreien machte sich selbständig, und er hörte seine eigene Stimme, als käme sie aus den weißen, unpersönlichen, glatten, schmucklosen Wänden. »Warum sagt man mir nicht die Wahrheit?«
    Der junge Arzt starrte ihn unter zusammengezogenen Brauen an. Wirklich ein Scheißtag heute, dachte er. Seit sieben Uhr früh stehen wir am Tisch. Wie an einem Fließband. Körper nach Körper. Ab und zu eine Tasse schwarzer Kaffee dazwischen, ein kurzes, tiefes Atemholen beim neuen Waschen und Desinfizieren der Hände. Und der Neue liegt schon wieder auf dem Tisch. Man hat solche Tage … Amputationen, Resektionen – am Abend könnte man eine ganze Kompanie mit Gulasch versorgen. Medizinerwitz. Zum Kotzen makaber. Aber es möbelt für ein paar Minuten auf. So wie es heute aussieht, wird man noch in der Nacht am Tisch stehen. Und da kommt so ein Mann und tobt herum wie die Jungfrau, die der junge Assistent zunähte, weil der Professor sagte: Korrigieren Sie die Spalte! Er meinte damit eine Hasenscharte. Medizinerwitz Nr. 2. Ein Scheißtag, wirklich!
    »Ist diese Ev Ihre Frau?« fragte der junge Arzt.
    Pierre zuckte zusammen. »Nein.«
    »Ihre Braut?«
    »Nein!«
    »Ihre Geliebte?«
    »Nein!!«
    »Was toben Sie dann herum?« Der junge Arzt zeigte auf einen der einfachen, mit Kunststoff bezogenen Stühle. »Setzen Sie sich, Monsieur! Ich begreife nicht, daß man sie überhaupt hier warten läßt! Wer hat das angeordnet? Nur die nächsten Verwandten –«
    »Sie muß leben!« schrie Pierre. »Begreifen Sie das? Weiterleben?! Doktor, tun Sie alles, alles, was Sie können!«
    »Wir tun immer, was wir können«, sagte der Arzt steif. »In welchem Verhältnis stehen Sie zu der Patientin?«
    »Wir wohnen zusammen –«
    »Also doch –«
    »Nein!«
    »Warten Sie, Monsieur.« Er ging hinaus, warf die Tür zu und holte sich neue sterile Überschuhe aus dem Schrank. Dann verschwand er wieder hinter den Milchglasscheiben. Eintritt verboten! Operations-Abteilung.
    Ein absolut Debiler, dachte der junge Arzt. Wohnt mit ihr zusammen und verneint, ihr Geliebter zu sein. Das gehört in Paris in ein Absurditäten-Kabinett.
    Er fragte eine der Schwestern, in welchem Saal eine Eva Bader läge, erfuhr, daß es Nr. 3 war und ein Abortus spontaneus und schüttelte den Kopf.
    »Auch das gibt's!« sagte er zu der erstaunten Schwester und dachte an das dauernde »Nein!« des Mannes. »Eine fötale Inkarnation von Gedanken –«
    Er ließ eine völlig ratlose Schwester zurück und verschwand im OP I.

*
    Endlich wurde sie aus der Unterwelt – so kam es Pierre vor – herausgerollt zu den Menschen. Ein Pfleger und eine Schwester schoben das Bett, sie lag, wie die alte Frau mit der fehlenden Brust, unter einem Leinentuch, bis zum Hals verschlossen, ein schmaler, kindlicher Körper, so winzig geworden in seinen Augen, als habe man Ev im Operationssaal bis auf ein Minimum verkürzt.
    Pierre klebte mit dem Gesicht an der Scheibe, und jetzt hatte er keine Kraft mehr, zur Tür zu gehen und sie aufzustoßen. Er stand nur da, starrte auf das Rollbett im Gang, streichelte mit dem Blick das bleiche Gesicht unter den zerzausten, verschwitzten Haaren, die nicht ihren goldenen Glanz verloren hatten, aber wie eine zerstörte, zerfetzte Sonne wirkten. Er sah ihr nach, wie sie langsam über den Flur weggerollt wurde und die Türen des Lifts sich hinter ihr schlossen, wieder ein gnadenloses Maul, das sie verschluckte und ihm erneut entriß.
    Er wollte schreien, jetzt, wo es zu spät war … Halt!, wollte er schreien, halt! Laßt sie hier, ich will sehen, ob sie lebt, sie soll mich anblicken, ich muß wissen, ob sie mich erkennt … Halt doch! Verdammt sollt ihr sein, warum rollt ihr sie so schnell weg? Habt ihr sie umgebracht? Warum hat sie sich nicht gerührt? Kein Blut war mehr in ihren Adern … so bleich kann kein Mensch sein, der noch etwas Blut in sich hat …
    Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er fuhr herum, und er mußte fürchterlich ausgesehen haben, denn der Arzt – er hatte ihn weder hereinkommen hören, noch gesehen – stockte einen Moment, ehe er ihn ansprach. »Sind Sie Monsieur de Sangries?« fragte er.
    »Ja«, stammelte Pierre. »Ja. Das bin ich. Woher kennen Sie meinen Namen, Doktor?«
    »Mademoiselle Eva hat mich gebeten, Sie zu

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