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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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benachrichtigt, Monsieur –«
    Ab und zu sah Pierre einige Schwestern oder Ärzte über den Gang huschen, lautlos, wie Phantome … in weißen oder grünen Mänteln, Kappen auf dem Kopf und mit sterilen Überschuhen, die sie außerhalb der Glastür in einen Behälter warfen, und die sie aus einem Schrank wieder hervorholten und überstreiften, wenn sie hinter der Schwingtür verschwanden.
    Ein schweigendes Kommen und Gehen … dann zwei Rollbetten mit bis zum Hals zugedeckten, bleichen Frauen … Die Glastür schluckte sie wie ein Moloch seine Opfer. Ein anderes Rollbett von der Gegenseite … zwei Pfleger drückten es vor sich her, ein Leinentuch verdeckte eine Gestalt, der Kopf lag schräg, wachsgelb mit geschlossenen Augen. Eine massige Frau; Pierre erkannte deutlich ihre starke linke Brust unter dem dünnen Tuch, die rechte Seite war flacher, leer … Er drückte das Gesicht gegen die Scheibe seines Zimmers und spürte, wie kalter Schweiß in Bächen seinen Körper herunterrann.
    Er war zum erstenmal in einem Krankenhaus, zum erstenmal vor einem Operationssaal. Er haßte Krankenhäuser, er haßte alles, was krank war … er konnte nicht dagegen an. Ganz dunkel, in der äußersten Ecke des weiten Raumes der Erinnerung an seine Kindheit, sah er immer noch ein verschwommenes Bild: Eine Bahre, auf der die schöne Mama lag, zwei Männer in Uniformen trugen sie aus dem Haus, und er lief hinterher und rief immer: »Mama! Mama! Ich mit! Ich mit!« Und sie antwortete nicht, sie sah so merkwürdig aus, so fern, so fremd, so gar nicht wie seine schöne Mama, und als er sie wiedersah, war sie ganz bleich und steif, lag in weißen Spitzenkissen und gab keine Antwort, als er wieder rief. »Sie ist jetzt ein Engel«, sagte irgend jemand hinter ihm mit weinerlicher Stimme. Was ist ein Engel? Wer kann das begreifen, wenn man vier Jahre ist? Sie gab keine Antwort, das war es, was er begriff, und dann klappte man sogar einen Deckel über sie, wie der Schmied von Tavaux, wenn er seinen Werkzeugkasten schloß.
    Seitdem haßte er, aus einem unerklärlichen Drang aus der Urtiefe seiner Seele heraus, alles Kranke und alles Sterbende. Kranke Freunde hatte er nie besucht, Einladungen zu Begräbnissen verbrannte er sofort, Krankenhäuser betrat er nie, und er hatte auch noch nie ein Winterbild gemalt. Denn Winter war Untergang, Tod, Begräbnis eines Jahres, Absterben der Natur. Sein ganzes Gefühl gehörte dem Frühling mit all seiner Hoffnung auf Leben, gehörte dem Sommer mit seiner schweren Fülle an Licht und Kraft.
    Jetzt stand er in dem kleinen, kargen Zimmer an der Scheibe, starrte auf den Gang, sah Rollbetten kommen und gehen, atmete diesen Geruch von widerlicher Süße ein, der seinen Magen verkrampfte, und begriff – als sei er wieder vier Jahre alt – die Wahrheit nicht, daß ein Mensch, der sein ganzes Herz ausfüllte, nicht wiederkommen könnte.
    Ev, dachte er. Ev … Ev … Ev … Immer nur dieses eine Wort, als drehe sich in seinem Hirn eine zersprungene Platte. Ev … du kommst doch wieder … du läßt mich doch nicht allein … Die verdammte Glastür wird sich doch öffnen, und du bist wieder da, siehst mich an, sagst etwas zu mir. Ev … das gibt es doch nicht, daß du nicht wiederkommst …
    Eine Stunde. Sie kann einen Menschen zerbrechen.
    Ein paarmal riß er die Tür auf und trat hinaus auf den Gang, wenn er eine Schwester sah oder einen Pfleger. Und jedesmal sagten sie zu ihm: »Gehen Sie wieder hinein, Monsieur. Wir können Ihnen gar keine Auskunft geben.«
    »Aber Sie müssen doch wissen, ob Eva Bader … Sie kommen doch aus dem Operationssaal …«, stammelte er.
    »Da drinnen sind fünf Säle und vierzehn Tische, Monsieur«, erklärte ihm ein älterer Pfleger, der nicht darüber hinwegblickte, daß Pierre so schweißnaß war, als wäre er einem Fluß entstiegen. »Heute ist 'was los! Drei Unfälle … bei diesem Sauwetter, Monsieur! Die Straßen sind glatt, wie mit Schmierseife eingerieben. Und die Burschen fahren wie die Idioten. Ich kann Ihnen über eine Eva Bader gar nichts sagen …«
    Nach einer Stunde begann Pierre, renitent zu werden. Er attackierte die Schwestern, blieb im Gang stehen und benahm sich so, daß man hinter der gläsernen Doppeltür über ihn zu sprechen begann. Ein junger Arzt, wie alle in einem grünen Mantel und mit einer grünen Kappe, kam heraus, streifte die Überschuhe ab und schob Pierre in das Wartezimmer zurück.
    »Benehmen Sie sich anständig, Monsieur!« sagte er laut. »Wenn

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