Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Bahnsteiglautsprecher zu deklamieren. Obwohl das gegen alle Dienstvorschriften war … einen Pariser Künstler zu ehren, rechtfertigt immer Ausnahmen, sogar im Beamtenbereich, nur bat man darum, das Gedicht vorher zu hören. Der ›Rote Henry‹ las es vor, und damit begann ein erregter Streit über den Begriff, was Kunst ist.
    Das Gedicht begann:
    Wie Morgenröte einen neuen Tag verkündet,
    und Liebe mit erhob'nem Rock beginnt,
    wie glückhaft Bulle sich mit Kuh verbündet,
    und neues Leben durch gewisse Adern rinnt,
    so kehrst du heim, Pierre, der Dunkelheit entfloh'n,
    vom dumpfen Lufthauch im Gedärm zum Gloriaton –
    Bis dahin unterbrach man den ›Roten Henry‹ nicht in seinem Vortrag, aber dann sagte man laut »Hinaus, Sie Ferkel!«, riß die Tür des Dienstraumes auf und drohte ihm Schläge an.
    »Das Gefühl verkümmert!« sagte der ›Rote Henry‹ später zu Madame Coco und setzte sich traurig neben die Blumenpracht, zu der Professor Mauron, Callac, Madame und die Vereinigung der russischen Taxichauffeure beigetragen hatten. »Diese allgemeine Verödung des Geistes ist deprimierend! Man hat kein Gespür mehr für starke Bilder.«
    Etwas Besonderes, was nicht durch Paragraphen abzustellen war, denn dafür gab es kein Gesetz, war der kleine Balalaikatrupp, der sich aufbaute, als der TEE angekündigt wurde. Fürst Globotkin selbst dirigierte ihn.
    Ein herrlicher Empfang. Die Leute auf dem Bahnsteig starrten erwartungsvoll um sich. Ein berühmter Maler? Wie sieht ein berühmter Maler aus? Alt und glatzköpfig wie Picasso? Mit hochgezwirbeltem Schnurrbart wie Dali? Ein wenig mumifiziert wie Cocteau? Die Balalaikagruppe klimperte los. Eine russische Melodie, weit und grandios wie der Himmel über Taiga und Steppe. Die Russen, sonst harte Chauffeure in ihren Taxis, mit allem Menschlichen so vert raut wie der Teufel mit den Seelen, bekamen schimmernde, feuchte, gerötete Augen. Rußland! Weites, schönes, fernes, unerreichbares Mütterchen Rußland. Man muß die Augen schließen, Brüder, dann riecht auch der Gare du Nord so ähnlich wie der Bahnhof von Saratow oder Gorki oder Kasan.
    Pierre und Ev stiegen aus dem vorletzten Wagen aus und holten die Koffer aus dem Abteil, die Hubert Bader gekauft und Mutter Else mit allem vollgestopft hatte, von dem sie glaubte, junge Leute am Beginn eines gemeinsamen Lebens brauchten so etwas. Sogar hölzerne Rührlöffel hatte sie eingepackt und Kleiderbügel mit einem Häkelüberzug, selbst handgearbeitet.
    »Platz für den Meister!« brüllte der ›Rote Henry‹, der Pierre zuerst entdeckt hatte. Fürst Globotkin machte ein paar militärische Handbewegungen, und die Balalaikaspieler setzten sich in Bewegung. Madame Coco hielt wie ein Erzengel Wache bei dem Blumenturm. Der für den Bahnsteig zuständige Fahrdienstleiter war machtlos und ging resignierend aus dem Weg.
    »Ihr seid wohl verrückt geworden!« sagte Pierre, als ›Das Gebetbuch‹ und der ›Rote Henry‹ ihn erreicht hatten. Die Russen mit ihren Balalaikas kreisten sie ein … Brüderchen, ist es nicht wie in Schamjinsk, wenn der Gutsherr zurückkam aus der Stadt und Knechte und Mägde ihm zujubelten? (Anschließend gab es dann Fußtritte und Peitschenhiebe, aber das vergaß man schnell. Außerdem soll man die Tradition nicht zu gründlich fortsetzen.)
    »Du wirst dich wundern, Pierre!« schrie der ›Rote Henry‹. »Seit einer Woche weiß Paris endlich, daß van Gogh nicht eine Ausnahme war! Ev! Dein Akt ›Mädchen vor den Trauben‹ hängt jetzt in der Eingangshalle von Phillip de Barincourt! Der alte Phillip soll jeden Abend davorstehen und seufzen: ›Man müßte vierzig Jahre jünger sein!‹«
    »Zum Teufel, was habt ihr gemacht?« schrie Pierre. Er packte ausgerechnet ›Das Gebetbuch‹ an den Rockaufschlägen und schüttelte ihn. Er mußte schreien, denn die Balalaikas veranstalteten ein Furioso aus Tönen. »Was ist mit meinen Bildern?«
    »Verkauft!« donnerte der ›Rote Henry‹. »Junge, das war die sensationellste Kunstausstellung seit zehn Jahren in Paris. Callac hatte nach drei Tagen Senkfüße, am vierten Tag saß er mit Wadenkrämpfen auf dem Stuhl und Madame mußte in der Galerie bedienen. Für Callac war das ein Weltuntergang … für Paris ein Fest für Auge und Gehör. Wenn ein Kunstkenner eines deiner Bilder fachmännisch mit geneigtem Kopf betrachtete, schrie ihn Madame an: ›Halten Sie den Kopf gerade, Monsieur! Mit schiefem Kopf haben Sie lange genug in dem Uterus gelegen. Sind Sie

Weitere Kostenlose Bücher