Liebe ist stärker als der Tod
schön, verträumt, heimatlich und herzergreifend war. Dann bauten die Taxifahrer die Blumenpyramide ab, nicht bevor Ev und Pierre sie bewundert und sich zu einem Werbefoto inmitten dieser Blütenpracht aufgebaut hatten. Mit sieben Taxis fuhr man dann quer durch Paris auf die andere Seine-Seite, zur Rue Princesse, wo die Nachbarn aus den Fenstern hingen und teilnahmen am Glück des bisher hungernden Pierre.
Man weiß ja: Die Bewohner der Rue Princesse waren stolz auf ihre Straße. Ein Stolz, der die abblätternden Hausfassaden vergessen ließ und sie statt dessen mit leuchtender Liebe strich.
Die Fahrt durch Paris war ein Ereignis besonderer Art. Da man die Blumen so auf die Taxis montiert hatte, als fahre man zu einem Friedhof, betrachtete jeder die sieben Autos als eine Art Trauerzug. Höfliche Männer zogen ihre Hüte, als die Blumenwagen würdevoll an ihnen vorbeiglitten. Die Polizisten an den Straßenkreuzungen hielten die Fahrbahn frei, schwenkten ihre weißen Knüppel und ließen die Pfeifen trillern. Freie Fahrt dem teuren Verblichenen und seinen Hinterbliebenen, denen unser Mitgefühl gilt.
Ein Franzose besitzt für jeden eine tiefempfindende Seele.
Aus der Küche von Madame Coco duftete ihnen der berühmte Apfelkuchen entgegen, auf den sich vor allem Wladimir Andrejewitsch seit Tagen freute. Der Tisch war ausgezogen und gedeckt, außerdem war der lange, schmale Flur wie in einem ländlichen Bistro mit einem Brettertisch vollgestellt, an dem man beidseitig an langen Bänken sitzen konnte. Die Bänke hatte Ponpon aus dem Zirkus besorgt, ohne Leihgebühr, dafür aber das vielleicht nie einlösbare Versprechen abgegeben, Pierre de Sangries würde – wie weiland Toulouse-Lautrec – für den Winterzirkus ein Plakat entwerfen. Madame hatte die halbe Rue Princesse eingeladen … wer nicht eingeladen worden war, hatte tagelang damit zu tun, darüber nachzudenken, womit er den Widerwillen Madame Cocos erworben hatte. Die meisten fanden irgendwo diesen kritischen Haken und versanken in eine Art dumpfer Trauer. Brüderlichkeit in der Rue Princesse … das war das letzte Bollwerk gegen die anonyme Vermassung des Menschen.
Pierre tat das, was Madame gefürchtet hatte: Er stieg sofort hinauf in sein Atelier. Als er die Tür aufriß, war er still und betroffen, entsetzt und wie verwaist.
Sein ›Zimmer in Gottes Hand‹ war nicht mehr. Zwar war da noch das große Fenster mit dem Blick auf den häßlichen, langen Schornstein des Nachbarhauses, mit der unbeschreiblichen Landschaft der Dächer von Paris mit ihren Luken und Leitern, Antennen und Drähten, Schiefern und Ziegeln, Blumenkästen und winzigen Dachgärten, Balkonen und Austritten, Wäscheleinen von Kamin zu Kamin, sich drehenden Abluftfächern und reklamebemalten Leerflächen. Auch die kleine Hure gegenüber gab es noch – sie lag bei offenem Fenster im Bett, schlief und füllte ihre Kräfte auf. Ihre linke Brust lag auf der Steppdecke, das rechte Bein ragte aus dem Bett … in drei Stunden klingelte der Wecker, sie würde sich baden, schminken und pudern und dann das Telefon wieder anstellen, um die Kundenanrufe zu erwarten.
Es war alles wie vor zwei Wochen … und doch anders.
Die Wände weiß … nicht mehr auf der einen Wandseite der Fortsetzungsroman, auf der anderen die Börsenberichte, neben der Küchenecke die Politik, in der Bettnische der Sport. Das Balkenwerk war lackiert worden und sah so neu aus, daß man sich seines alten Anzuges schämen mußte. Vor allem aber: Rund herum an den Wänden lehnten nur noch wenige Bilder, fehlten die bemalten, unverkäuflich gewesenen Leinwände. Sogar die Bilder von Monky, dem Modell mit dem Körper, von dem kein Mann glaubt, daß es so etwas wirklich als Natur gibt, hatte man weggekauft.
Es war kahl im ›Zimmer in Gottes Hand‹, es fehlte die Unordnung eines bei allem Unglück doch glücklichen Lebens. Es war alles aufgeräumt, normal, stinknormal sogar. Es sah alles so erfolgreich aus … überlackiert mit der Sterilität des Arrivierten.
Pierre lehnte an der Tür und war nicht bereit, das Zimmer zu betreten. Ev ging an ihm vorbei … und Bouillon (Gott hat auch einer Kreatur eine Seele gegeben, wer will's bestreiten?!) folgte ihr nur zögernd, mit hocherhobener, schnuppernder Nase und einer faltenreichen Stirn. Ein neues Hundekörbchen, das neben Evs Bett stand, betrachtete er nicht einmal. Was soll ein Clochard mit einem königlichen Himmelbett anfangen?
»Hast du dir das gewünscht, Ev?« fragte
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