Liebe ist stärker als der Tod
war weniger die Sache, über die sie sich in die Haare gerieten, als vielmehr der Termin.
»Marius, wir haben heute den 30. Dezember!« rief der Notar und blätterte nervös in einem Aktenstück. »Ich kann nicht zaubern!«
»Sie sollen nur den fünften Gang einlegen!« sagte Callac scharf. »Ich weiß, Sie fahren gern Auto. Also, den fünften Gang, Raimond! Jetzt, hier auf der Stelle, sofort und ohne Zögern machen wir eine Vermögensaufstellung und ein Testament. Bis heute hatte ich keins, das wissen Sie … wer einmal nach meinem Tode alles erben würde, war mir egal.«
»Ihre Bildersammlung sollte der Louvre erhalten, Monsieur Callac.«
»Stimmt. Wird gestrichen.«
»Ihre Bankkonten sollten so verzinst werden, daß jedes Jahr ein Preis für einen Maler ausgesetzt werden konnte.«
»Gestrichen!«
»Ihre Besitzungen an Häusern, Grundstücken, Aktienbeteiligungen und andere Wertgegenstände sollten zu einer Callac-Stiftung zusammengezogen werden zum Ankauf von für Frankreich wichtigen Gemälden im Ausland.«
»Gestrichen!«
»Monsieur Callac!« Der Notar saß wie versteift hinter seinem großen Schreibtisch. »Haben Sie Ihren Patriotismus verloren? Was hat Ihnen Frankreich getan? Sie tragen das rote Band der Ehrenlegion, Sie sind …«
»Was ich bin, weiß ich, Raimond. Und was wird, weiß ich endlich jetzt auch. Genügt es, wenn ich als Testament eigenhändig vor Ihnen als Zeuge bekunde: ›Alles, was ich an beweglichen und unbeweglichen Dingen, an Konten und Beteiligungen besitze, umfassend genannt: Meinen gesamten Nachlaß – soll nach meinem Tode allein und unter Ausschluß aller möglichen oder denkbaren unbekannten Nachfahren meinerseits nur Mademoiselle Eva Bader erben.‹ Adresse und so weiter folgen. Genügt das, Raimond?«
»Als letzte Verfügung eines total senilen Greises genügt das vollkommen«, sagte Notar Raimond ungerührt. »Sicherer ist, ein amtsärztliches Zeugnis beizufügen, daß Sie dieses Testament nüchtern, ohne Delirium, ohne geistige Umnachtung und ohne Hypnose geschrieben haben. Selbst dann wird man sagen: Der alte Callac muß irgendwo einen unbekannten Tumor im Hirn gehabt haben. Man wird Ihren Kopf obduzieren.«
»Danke! So etwas wie Sie als Anwalt und Notar hätte man früher verbrannt!« Callac beugte sich über den Tisch. »Raimond! Jetzt auf der Stelle setzen wir dieses Testament auf! Juristisch unanfechtbar … dazu sind Sie da!«
»Sie haben sich verliebt, Callac? Das ist es! In einem Alter, in dem man früher als lebender Methusalem ausgestellt wurde, jonglieren Sie noch mit Hormonen. Wer ist diese Eva Bader? Wie alt? Ein raffiniertes Biestchen, nicht wahr? Röckchen bis zur Arschfalte, Ausschnitt bis zum Nabel. Was dazwischen liegt, ist kein Kreuzworträtsel mehr. Und darauf fallen Sie rein, Callac?«
»Raimond, Sie sind ein altes, impotentes Schwein. Eva ist 22 Jahre …«
»Sag ich es doch! Wenn sie vor Ihnen herschwingt, röhrt es in Ihren Adern.«
»Sie ist meine heimliche Adoptivtochter. Ich habe sie gedanklich adoptiert. Verstehen Sie das?«
»Nein, Monsieur.« Notar Raimond wurde noch steifer. Der alte Callac verkalkte wirklich total und rettungslos.
»Machen wir das Testament oder nicht?« brüllte Callac. Seine Brille beschlug wieder.
»Wir machen es«, sagte Raimond so steif, als kaue er an Nägeln. »Was wird, wenn aus dieser Verbindung auch noch ein Kind entsprießt? Ich traue Ihnen jetzt alles zu, Monsieur.«
Von diesem Satz an stritten sich Callac und Notar Raimond eine halbe Stunde und erinnerten sich an Schimpfworte aus ihrer Kinderzeit. Danach waren sie sehr friedlich, und das Testament wurde geschrieben und war juristisch unanfechtbar.
»Jetzt weiß ich, wofür ich gelebt habe«, sagte Callac nach dieser feierlichen Handlung. »Ich hatte immer gehofft, Cosima als Erben einzusetzen.«
»Wer ist denn das nun wieder?« rief Raimond entsetzt. »Keine neuen Komplikationen!«
»Cosima –« Callac sah verträumt an die getäfelte Decke. »Das war ein Traum im salzigen Schilf der Camargue. Raimond, der Mensch ist etwas Fürchterliches, wenn er in der Erinnerung lebt und sechzig Jahre später als Wirklichkeit wieder auftaucht …«
*
Es war natürlich klar, daß der 2. Januar verging, ohne daß Pierre mit Gewalt Ev aus seinem Zimmer vertrieb. Immerhin warteten unten in Madame Cocos Küche Fürst Globotkin, der ›Rote Henry‹, Ponpon und einige andere russische Taxichauffeure abwechselnd in verschiedenen Schichten den ganzen Tag über auf
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