Liebe ist stärker als der Tod
Preise, nachdem sie die Ware mit ihren Händen begutachtet hatte. Es waren – seien wir ehrlich – auch immer die richtigen Preise.
Pierre sah Madame Blondiera zum erstenmal, als sie in sein Zimmer kam. Ihr Schmuck war Millionen wert … er beherrschte sie voll und ganz. Man sah nicht mehr die Frau, man sah nur noch die Brillanten und Smaragde und Perlen, und dann erst fand man sich damit ab, daß das alles von einer lebenden Person getragen wurde.
»Zwei mal zwei Meter, Maître!« sagte Madame Blondiera, die Pierres Musterung irgendwie falsch verstand. »Und nur meinen Kopf … oder wollten Sie sogar …«
Sie war plötzlich verschämt wie ein junges Mädchen, setzte sich auf einen Stuhl und senkte den Kopf.
»Sie werden zufrieden sein, Madame«, antwortete Pierre. Er nahm eine große Leinwand, stellte sie auf die Staffelei und betrachtete Madame Blondiera noch einmal genau. »Ihr Portrait natürlich. Ich male von Ihnen das Wesentliche …«
»Sie Schmeichler –«, sagte Madame Blondiera und wurde rot, eine Meisterleistung, denn in eingeweihten Kreisen schätzte man sie um die Sechzig.
Pierre setzte sie auf einen Stuhl, mit dem großen Fenster im Hintergrund, und begann mit der Rohskizze. Drei Tage, dachte er, dann ist es fertig. Dann wird es sich entscheiden, ob ich eine malende Hure bin oder ein Künstler, der seine eigenen Ideen durchsetzt.
Bis zur Fertigstellung des Bildes von Madame Blondiera sah niemand – auch Ev nicht – was da entstand. Erst, als Pierre das fertige Gemälde verhängt in Callacs Galerie brachte und auf die Ansichtsstaffelei stellte, die beiden Stichscheinwerfer darauf richtete und Madame Blondiera in einem goldenen Sessel vor dem noch nicht enthüllten Bild Platz nahm, ahnte Callac, daß etwas Fürchterliches sich vorbereitete. »Ev, ich habe das nicht verdient, diesen Untergang von Marius Callac … aber ich kann mich trösten, genug Geld zu haben, um es zu überleben.«
Um Madame Blondiera wenigstens in vollendeter gesellschaftlicher Form sterben zu lassen, kredenzte er ihr vorweg ein Glas Champagner, plauderte über van Gogh und dessen ausgefallene Betrachtung der Natur – womit er glaubte, den Boden für Pierres sicherlich ebenso ausgefallene Betrachtung von Madame Blondiera vorbereitet zu haben – und dann trat Pierre selbst an die Staffelei und riß das Tuch von dem Gemälde.
Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen. Aber nur einen Augenblick. Dann wandte sich Callac leise stöhnend ab und lehnte den Kopf gegen Evs Schulter. Madame Blondiera saß steif in ihrem Goldsessel, starrte auf das Gemälde, und als sie Callac stöhnen hörte, sagte sie mühsam (und es war echte Ergriffenheit):
»Fantastique! Céleste! Génial! Indescriptible!«
Das Bild war wirklich unbeschreiblich. Auf einem lichten blauroten Untergrund schwebten in den vier Ecken der Leinwand, ziemlich klein im Vergleich zur Gesamtproportion, die Köpfe von Madame Blondiera in vier verschiedenen Blickrichtungen, nämlich alle zur Mitte. Hier aber, die gesamte Riesenleinwand ausfüllend, glänzte, glitzerte und blitzte, daß es einem das Auge fast blendete, das Brillant-Smaragd-Kollier, das Madame bei den Sitzungen getragen hatte. Die Strahlungen dieser Steine überdeckten die vier Portraits in den Bildecken, als wollten sie sie aufsaugen, so wie eine ungeheure Sonne vier farbige Wassertropfen vernichtet.
»Ungeheuerlich!« sagte Madame Blondiera noch einmal und starrte das Bild an.
»Ich habe Ihnen versprochen, Madame –«, sagte Pierre unbefangen, »von Ihnen das Wichtigste zu malen.« Er trat hinter den goldenen Sessel und beugte sich über ihre Schultern. »So sehe ich Sie, Madame.«
»Callac!« Marius Callac zuckte zusammen. Er fuhr herum und machte sich bereit, von Madame Blondiera vernichtet zu werden. Den Scheck über die 30.000 Francs Vorschuß hatte er als Rückzahlung schon vorsichtshalber eingesteckt. »Ich nehme Ihnen übel, daß Sie dieses Genie nicht schon früher entdeckt haben. Welch ein Bild! Wissen Sie, was das ist? Eine neue Form von Raffaels Sixtinischer –« Die Stimme versagte ihr, sie umarmte den betroffenen Pierre, küßte ihn, begann zu weinen und rannte aus der Galerie. Callac starrte ihr nach, bis die Tür zufiel und Madame Blondiera in ihrem Cadillac saß.
»Pierre«, sagte er dann leise. »Pierre –«
»Monsieur Callac?«
»Sie sind der unverschämteste, frechste, hemmungsloseste, begabteste und herrlichste moderne Maler, den ich kennengelernt habe! Das hier war ein
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