Liebe ist staerker als Haß
preßte sich noch enger an ihn und hob das Gesicht, um sich küssen zu lassen.
Langsam, zärtlich küßte Tearle sie, der zarte Kuß für eine Jungfrau. »Doch nun, meine Liebe, muß ich zu deinem Bruder zurück.«
»Hm.« Mehr brachte Zared nicht heraus. Sie legte den Kopf an seinen Hals, die Lippen auf seine Haut. Sie hatte nie geahnt, wie schön es war, einen Mann zu berühren.
Sanft machte Tearle sich von ihr frei. Ein Blick in ihr Gesicht, und sein Körper flammte heiß auf. Wenn er wollte, hätte er sie jetzt nehmen können, das wußte er. Doch er sagte: »Wir müssen zurück.« Dafür, daß er ihr in dieser Nacht ihre Jungfräulichkeit ließ, würde man ihm im Himmel eine goldene Krone verleihen.
Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu den Zelten zurück.
Doch schon nach wenigen Schritten kam Zared zur
Besinnung. Sie schüttelte den Kopf, als müsse sie sich von einem Nebel befreien. Dann entzog sie ihm die Hand. Sie hatte sich eben dem Feind ergeben! Sie hatte vergessen, daß sie eine Peregrine und dieser Mann der Feind der Familie war. Sie hatte ihm selbstvergessen gestattet, sie zu berühren. Es ihm gestattet? Sie hätte ihm noch mehr gestattet, wenn er nur gewollt hätte - aber er hatte es nicht gewollt. Sie hätte sich gern weitertreiben lassen, doch er hatte sich von ihr gelöst.
Sie zog den kleinen Dolch aus dem Gürtel, mit dem sie sonst das Fleisch zerschnitt, wandte sich ihm zu und hielt ihn hoch, als wollte sie ihn ihm in den Leib bohren. »Wenn du mich noch einmal anfaßt, dann töte ich dich!« sagte sie.
Und er, der schreckliche, verhaßte Mann, lächelte nur.
Zared stürzte auf ihn zu. Doch er fing sie mit Leichtigkeit am Handgelenk ab und zog sie wieder an sich.
»Ich habe deinetwegen noch eine halbverheilte Stichwunde und viele Prellungen an einer Seite. Weitere Wunden will ich nicht haben.«
»Wenn du dich mir noch einmal mit Gewalt aufdrängst, werde ich dir viel größere Schmerzen zufügen.«
»Aufdrängst?« sagte er, noch immer lächelnd. Dann beugte er sich vor, um sie noch einmal zu küssen.
Zared wandte den Kopf ab und flüsterte: »Nein.«
Er ließ sie los, und als sie vor ihm davonlief, hörte sie ihn hinter sich lachen.
8
Sie rannte den ganzen Weg bis zum Zelt, und als sie ankam, zitterte sie. Severn räkelte sich auf seinem Bett und aß einen Apfel. Als sie hereinkam, drehte er sich zu ihr um.
»Ist jemand hinter dir her?« fragte er. »Wieder Colbrands Knappe? Ich glaube, der Junge spürt dein Geschlecht. Er scheint das im Kopf zu haben, was seinem Herrn fehlt.«
»Hast du denn gar nichts zu tun?« fuhr sie ihn an. »Keine Schwerter zu schleifen? Keine Frauen zu umgarnen?«
»Ich habe schon alle Frauen erobert«, sagte er selbstsicher.
»Ausgenommen Lady Anne.«
Er aß seinen Apfel auf und stellte die Füße auf den Boden. »Wo ist Smith? Hast du ihn mit einer anderen Frau gesehen - stammt daher deine schlechte Laune? Sieh dich vor, kleine Schwester, daß du ihn nicht ganz verprellst!«
»Du weißt nichts!« schrie sie ihn an. »Nichts!«
Lachend ging er aus dem Zelt.
Wutschnaubend setzte sich Zared auf ihr Bett. Sie war wütend auf ihren Bruder, weil er nichts sah, auf den Howard, weil er sich in ihr Leben gedrängt hatte, und auf sich selbst, weil sie sich so verhalten hatte.
»Es wäre auch geschehen, wenn mich ein anderer Mann geküßt hätte«, murmelte sie vor sich hin. »Hätte Colbrand mich berührt...« Sie brach ab. Ihr war eingefallen, was sie empfunden hatte, als der Howard sie berührte. Das wäre bei jedem Mann genauso gewesen, redete sie sich ein. Es wäre bei jedem anderen Mann auch wunderbar gewesen, umarmt und geküßt zu werden.
»Ja«, sagte sie und stand auf. Sie war eine Peregrine, und wenn ihre Brüder viele Frauen mochten, dann würde sie bestimmt auch viele Männer mögen. Vielleicht war es schändlich, daß sie auf den geschworenen Feind ihrer Familie so reagiert hatte. Doch das war nun mal der Lauf der Welt.
Sie mußte nur ihre fünf Sinne beisammenhalten und nicht zulassen, daß sie durch diesen Mann den Blick für das Wesentliche verlor, sagte sie sich. Er war ein Howard, und daß er sich in dem Lager der Peregrines eingenistet hatte, mußte einen Grund haben. Sie war die einzige, die wußte, wer er in Wirklichkeit war. Wollte er sie nur verführen, damit sie ihm nicht mehr mißtraute?
Noch wußte sie nicht recht, welchen Nutzen er aus der Verkleidung zu ziehen hoffte. Doch es war ihre Pflicht, die Familie vor ihm zu
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