Liebe kommt auf sanften Pfoten
erwachsen verhielt wie sie. In diesem Streit war es nicht um sie beide gegangen, sondern ausschließlich um Juliet .
Seit Monaten war sie um diese Erkenntnis herumgeschlichen, doch das war die bittere Wahrheit. Das Haus war nicht bereit dafür, darin ein Baby großzuziehen. Es war ja nicht einmal sicher genug für ihren kleinen Hund. Hätte man Ben alles allein überlassen, so wäre es niemals fertig geworden. Und es schien ihn auch nicht sonderlich interessiert zu haben, dass diese Tatsache sie in den Wahnsinn getrieben hatte. Wenn sie wirklich ehrlich war – so ehrlich, wie sie sich Louise gegenüber aus purer Verzweiflung gezeigt hatte –, dann hatte Juliet sich damals tatsächlich gefragt, ob sie beide in einem unterschiedlich schnellen Tempo reifer wurden wie ein schiefer Baum: Ben war der ewige Teenager, der gerne anderen Leuten einen Gefallen tat und sich erst später dann Sorgen um morgen machte, und Juliet hatte sich zu der widerwilligen Erwachsenen entwickelt, die alle Rechnungen bezahlte und sich für sie beide Sorgen machte.
Bei dem Gedanken, dass sie vielleicht doch nicht das perfekt zueinander passende Paar waren, war ihr schlecht geworden. Dieser Gedanke hatte sie sowohl wütend als auch traurig gemacht – nicht etwa ihn. Ben hatte das alles wenig gekümmert.
Aus den Augenwinkeln sah Juliet, wie ein Auto herangefahren kam, abbremste und schließlich anhielt.
»Hey, Juliet! Soll ich dich mitnehmen? Es regnet!«
Juliet schaute auf und sah Lorcan, der sich aus seinem Van herausbeugte. Emer saß auf dem Beifahrersitz, während Roisin zwischen den beiden hockte. Dem Getöse von der Rückbank nach zu urteilen, waren auch die restlichen Kellys mit von der Partie und nutzten den Werkzeugkasten, um Schlagzeugrhythmen auszuprobieren.
Juliet schüttelte jedoch den Kopf und gab sich Mühe, normal auszusehen. »Nein, danke, schon okay.«
»Ach, komm schon!«, rief Emer. »Wir fahren auf dem Weg noch an der Fish-and-Chips-Bude vorbei, um Sals ersten Auftritt zu feiern! Ruhe dahinten!«
Juliet schaffte es, müde zu lächeln. »Gratuliere ihm von mir, aber lieber ohne mich. Es ist alles in Ordnung, ehrlich!«
Lorcan beugte sich noch weiter aus dem Autofenster heraus und musterte ihr tränenüberströmtes Gesicht. Dann schwang die Fahrertür auf, obwohl der Motor noch immer lief, und seine in Jeans gehüllten Beine tauchten vor ihr auf. »Emer, fahr du nach Hause«, rief er. »Ich gehe zu Fuß.«
»Du willst doch nicht … Ach, Lorcan. Soll ich euch zwei Pommes mitbringen?« Sie schien zu kapieren, dass irgendetwas nicht stimmte, und kletterte auf den Fahrersitz hinüber. Sie sah dabei jedoch nicht sehr zuversichtlich aus, und Roisins Miene sprach ebenfalls Bände.
»Keine Ahnung. Ich melde mich«, rief Lorcan, ohne zurückzuschauen. Seine Augen waren allein auf Juliet fixiert, und er runzelte besorgt die Stirn.
Juliet wollte gerade protestieren, dass das nicht nötig sei. Doch irgendwie ging es ihr durch seine kraftvolle Art gleich ein wenig besser, obwohl sie sich auch irgendwie unbehaglich fühlte. Sie winkte, als Emer einen Gang einlegte und unter lautem Protestgeschrei vom Beifahrersitz und von der Rückbank schlingernd davonfuhr.
»Wolltest du irgendwohin?«, fragte Lorcan, als er die Pflanzen in ihrer Hand sowie die Hundeleine entdeckte. »Ah, okay.«
Juliet schwieg.
»Möchtest du ein wenig Gesellschaft haben? Du kannst mir ruhig sagen, dass ich mich verziehen soll, wenn du lieber allein wärst.«
Juliet presste die Lippen aufeinander. »Ich … keine Ahnung. Ich wollte den Ort aufsuchen, an dem Ben gestorben ist, und die Blumen dort niederlegen. Eigentlich ist das eine blöde Idee.«
»Nein, finde ich gar nicht.« Lorcan sagte nichts mehr, und Juliet merkte, dass das eine der Eigenschaften war, die sie am meisten an ihm schätzte. Er sagte einfach, was er dachte, und beließ es dabei – ganz anders als die meisten anderen Leute um Juliet herum, die ihr immer vorschreiben wollten, wie sie sich zu fühlen hatte, wie sie sich in ihrer Situation fühlen würden und so weiter und so weiter, bis Juliet am liebsten laut geschrien hätte.
Er nickte in Richtung der Straße, und ohne einen Ton zu sagen, gingen sie los. Minton trottete ihnen voraus.
Bilder von Bens letzter Nacht gingen Juliet durch den Kopf, als sie die Mauern und Bäume entlang der Straße mit seinen Augen sah. Bei den meisten ihrer dunkleren Gedanken hatte sie es während des letzten Jahres geschafft, sie in die hinterste Ecke
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