Liebe kommt auf sanften Pfoten
hallte durch das Haus. »Bist du da? Irgendwer zu Hause? Wir sind da!«
Sie klang so fröhlich, als hätte sie heute ihre Anstrengungen verdoppelt.
Juliet sah zu Minton hinunter und stupste ihn mit der Fußspitze an. Anders als sonst war er noch nicht zur Haustür hinuntergestürzt.
»Los, geh schon!«, forderte sie ihn auf. »Mir geht’s gut.«
Sie absolvierte die tägliche Routine wie ferngesteuert, während sie die ganze Zeit daran denken musste, dass Bens Todesstunde immer näher rückte.
Um jenen Moment bewusst zu erleben, wollte Juliet etwas Besonderes tun, doch sie wusste nicht, was das sein sollte. Stattdessen versuchte sie krampfhaft, sich an den letzten verbleibenden Minuten dieses Jahres festzukrallen, als würde das Überschreiten jener Schwelle eine letzte Verbindung kappen, die sie noch zu Ben hatte.
Sie ging mit den Hunden Gassi und kehrte schließlich in ein leeres Haus zurück, wo sie dann die Karten las, die von ein paar Freunden geschickt worden waren, die sich an den Jahrestag erinnert hatten. Es fühlte sich sowohl falsch an, die Karten auf dem Kaminsims aufzubauen, als auch, sie einfach wegzuwerfen. Deswegen blieben sie einfach auf dem Regal neben der Tür liegen, als unangenehme Erinnerung an furchtbare Gefühle. Sie kochte sich ein Abendessen, fütterte Minton und unterhielt sich apathisch mit ihrer Mutter, als diese Coco abholte und ihr eine große Schachtel mit Pralinen mitbrachte. Währenddessen hatte Juliet die ganze Zeit das Gefühl, um Viertel nach acht einen wichtigen Termin zu haben, den sie einhalten musste.
Als es langsam dämmerte, ging Juliet in den hinteren Teil des Gartens und betrachtete das Unkraut sowie das viele Herbstlaub, das überall herumlag. Es war beschämend, wie wenig sie gegen diese Verwilderung getan hatte, und sie entschuldigte sich innerlich bei Ben für die struppigen Hecken und die überwucherten Beetränder.
Dennoch waren überall noch Anzeichen dessen zu sehen, was er einmal begonnen hatte. Die Rosenbüsche, die ihr Vater neben der Gartentür gestutzt hatte, trugen immer noch ein paar verspätete gelbe und rote Blüten, und die Küchenkräuter waren – völlig unbeachtet – gut gediehen. Als Juliet mit der Hand über die Minze-, Lavendel- und Rosmarinbüsche strich, verbreitete sich ein wohliger Duft. Die Pflanzen hatten es geschafft, ohne ihn weiterzuwachsen, genauso wie sie selbst auch weitergemacht hatte. Zwar sahen sie ein wenig verwildert aus, aber sie waren definitiv gewachsen.
Ganz langsam sammelte Juliet ein Sträußchen aus Kräutern und Blumen zusammen. Bei jeder Pflanze dachte sie an Ben, wie er seinen Hochzeitsstrauß für sie zusammengestellt hatte.
Rosmarin, weil sie nicht vergessen hatte, wie sehr er sie geliebt hatte, und sie es auch niemals vergessen würde.
Abgestorbene Samenstände vom nicht zurückgeschnittenen Lavendel, mit denen die Duftsäckchen hatten gefüllt werden sollen für die Kleiderschränke, die sie nie gekauft hatten. Ben, du hattest recht, dachte sie traurig. Ich habe gar keine Zeit dafür gehabt. Aber vielleicht demnächst.
Minze für die dunkelgrünen Fliesen im Badezimmer, das jetzt fertig war und genau so aussah, wie es ihm gefallen hätte.
Dunkelgelbe Chrysanthemen für das Wohnzimmer, das das nächste Projekt sein würde, wenn sie erst einmal den heutigen Tag überstanden hatte.
Die Kellys waren allesamt unterwegs, und es herrschte eine seltsame Stille im dämmrigen Garten. Juliet kam es vor, als sei sie dort in eine Art Zeitblase geraten, in der sie ihren Kopf drehen und die erste Bewohnerin des Hauses sehen konnte, die sich in einem Reifrock liebevoll um die Rosen kümmerte. Unweigerlich fragte sich Juliet, ob Ben wohl auch in jene Halbwelt getaucht war. Vielleicht würde ja eines Tages einmal jemand in der Dämmerung Rosen pflücken und einen attraktiven blonden Mann sehen, der die Hecke schnitt und dessen Muskeln für einen Geist viel zu kraftvoll und gesund glänzten.
Sagte man nicht, dass Menschen mit einer großen Lebenslust diejenigen waren, die für immer einen Eindruck in ihrem Umfeld hinterließen? Ben war so jemand gewesen. In seinem Garten.
Juliet wappnete sich für die Trauer, die seltsamerweise aber ausblieb. Stattdessen spürte sie in ihrem Inneren plötzlich eine tiefe, friedliche Ruhe bei dem Gedanken daran, dass Ben dort umherwandern könnte, wo er wirklich glücklich gewesen war – und vielleicht wäre dieser Ort hier in diesem Garten. Juliet wünschte sich für ihn, dass er
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