Liebe kommt auf sanften Pfoten
glücklich war, ganz gleich wo auch immer er gerade war, weil sie nun endlich begriff, dass er nicht wieder durch die Haustür zurückkommen und sagen würde, dass alles ein Missverständnis gewesen sei. Er war fort.
Sie erreichte das Ende des Rasens, von dem aus sie beide immer auf die alte Backsteinmauer gedeutet und über Duftwicken und Himbeersträucher gesprochen hatten. Danach hatten sie sich immer im nassen Gras niedergelassen und die gedrungene weiße Rückseite der Hausfassade mit ihren Fenstern und der Gedenktafel betrachtet. Auf dieser Tafel war das Jahr der Erbauung festgehalten, und sie hatte sich gleich bei der ersten Hausbesichtigung in sie verliebt. 1845 hatte irgendjemand genau dort an diesem Platz gesessen und gedacht: fertig .
Das ist mein Haus, dachte Juliet und korrigierte sich sofort. Unser Haus .
Die Worte gingen ihr noch einmal durch den Kopf. Nein, mein Haus, beschloss sie schließlich. Meine Fugenmasse. Mein Stromkasten. Wir haben keinen einzigen unserer Pläne umgesetzt, die wir geschmiedet haben. Ich allerdings schon. Allein. Das Haus verwandelt sich in mein Haus. Und wenn ich weiterhin von unserem Haus rede, bedeutet das, dass dort für immer jemand fehlen wird.
Außerdem waren diese großartigen Pläne und deren ausbleibende Umsetzung der winzige Dorn gewesen, der die schlechte Stimmung zwischen ihr und Ben ausgelöst hatte – jene leise Verbitterung, die unter dem Deckmantel ihres Glücks immer weiter gewachsen war und sich manifestiert hatte, bis sie schließlich hervorgebrochen und es zu dem einzigen ernsthaften Streit gekommen war, den sie je gehabt hatten.
Nun brach die Trauer mit gewaltiger Macht über sie herein, doch anstatt die Erinnerung an jene letzten Worte beiseitezuschieben, die sie ihrer Liebe des Lebens an den Kopf geworfen hatte, stellte Juliet sich ihnen. Wenn sie sich heute nicht damit auseinandersetzen konnte, wann dann?
Plötzlich merkte sie, wie sich etwas Warmes an ihr Bein drückte. Minton war aufgewacht und losgelaufen, um sie zu suchen. Besorgt schaute er Juliet an und leckte ihre Hand.
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich bei ihm. »Ausgerechnet heute. Wie gemein von mir, dich glauben zu lassen, ich hätte dich jetzt auch noch allein gelassen.«
Minton strich mit seinem Kopf an ihrem Bein entlang und legte sich auf den Rücken, den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt. Diese Geste der Unterwerfung brach Juliet beinahe das Herz, und sie kraulte seinen Bauch, um ihn wieder aufzuheitern.
Dann nahm sie ihre Pflanzen und erhob sich. Das feuchte Gras hatte ihre Jeans durchnässt, und jetzt setzte auch noch ein feiner Nieselregen ein. Sie registrierte zwar, dass es kalt war, doch mit einem Mal wurde sie von einer felsenfesten Entschlossenheit gepackt, sodass sie den Regen kaum wahrnahm.
»Komm, Minton«, erklärte sie. »Wir machen einen Spaziergang.«
Juliet leinte Minton an und trat auf die Veranda in die frische Abendluft hinaus.
Es regnete ganz leicht, weshalb sie ihre Kapuze aufsetzte und mit festem Schritt die Anliegerstraße hinunterlief. An deren Ende holte sie tief Luft und schlug nicht etwa den gewohnten Weg ein, sondern wählte die genau entgegengesetzte Richtung. Sie eilte die Straße hinunter, an der sich einst ein Hufschmied und eine Bäckerei befunden hatten, die aber nun unter den Namen »Old Forge« und »Old Bakery« zu Wohnhäusern umgebaut worden waren (Wohnungen A, B und C). Das komplette letzte Jahr hatte sie es vermieden, hier entlangzugehen; sie hatte es nicht übers Herz gebracht, ohne Bens Gesellschaft an diesen Altbauten vorbeizugehen.
Ich habe keine Ahnung, wohin ich laufe, dachte sie selbstquälerisch. Ich weiß nicht, wo genau Ben gestorben ist, weil ich nicht da war . Die Vorstellung, wie Ben hier in der menschenleeren, stillen Straße und umgeben von blinden Fenstern zusammengebrochen war, traf Juliet wie immer wie eine Messerklinge mitten ins Herz. Jetzt schmerzte es sogar noch mehr, da sie ein Jahr vollkommen allein gewesen war und wusste, welche Panik er gehabt haben musste, als er wie ein Ertrinkender mit den Armen gerudert und doch keine Aufmerksamkeit erregt hatte.
Obwohl er nicht vollkommen allein gewesen war. Immerhin hatte er Minton dabeigehabt.
Juliet drehte sich der Magen um, und sie sah zu dem kleinen Terrier hinunter, der begeistert neben ihr hertrottete, als würden sie lediglich eine zusätzliche nächtliche Gassirunde drehen. Das Licht der Straßenlaternen färbte sein cremefarbenes Fell gelb wie
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