Liebe kommt auf sanften Pfoten
trug. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie ihn nie wiedersehen würde.
Louise seufzte, öffnete die Tür des Gewächshauses und ging bis hinten durch. Es stand weitgehend leer – denn nur Ben hatte es für seine Ableger benutzt, wenn er zu viele herangezogen hatte. Nun standen dort fünf große Töpfe, in denen jeweils ein Sämling heranwuchs.
Etwa einen Monat vor seinem Tod, im September, hatte er Louise diese fünf Ableger gebracht, die von dem großen Kirschbaum oben auf dem Hügel Richtung Rosehill stammten.
»Der Baum wurde kräftig beschnitten, also habe ich ein paar Ableger mitgenommen«, hatte er stolz erklärt und gestrahlt, als habe er etwas sehr Wertvolles ergattert. »Es ist unser Lieblingsbaum – mal sehen, ob ich aus diesen Zweigen nicht einen kleinen Ableger für uns züchten kann. Den können wir dann in den Garten pflanzen, sodass Jools dann jedes Jahr im Frühling morgens beim Aufstehen die Blüten sehen kann. Verrate ihr aber nichts – ich will, dass es eine Überraschung wird. Wenn die Zweige anwachsen, soll es ein Geschenk zu unserem Hochzeitstag werden.«
Louise war gerührt, dass er sie in sein Geheimnis einweihen wollte, andererseits bewegte sie die schon charakteristische Liebenswürdigkeit dieser Geste. Das war typisch für Ben; Peter würde sie einfach nur zum Essen einladen oder ihr Geld schenken, damit sie sich mit einem Wellnesstag etwas Gutes tun könnte. Ben und Juliet aber nahmen sich viel Zeit für ihre Geschenkauswahl. Juliet hatte einen perfekten Bananenkuchen für Ben gebacken, während sich Ben um die Sämlinge und Ableger gekümmert hatte.
Nach Bens Tod hatte es Louise nicht übers Herz gebracht, ihr von den kleinen Kirschbäumchen zu erzählen. Alle fünf waren angewachsen, nachdem Ben sie sorgsam eingepflanzt und ihr Anweisungen gegeben hatte, wie sie sie wässern und abdecken sollte. Jetzt waren sie zu jungen Bäumchen herangewachsen. Wäre die Situation zwischen Juliet und ihr nicht so angespannt, hätte Louise ihr mittlerweile vielleicht schon davon erzählt. Denn immerhin schien sie auf dem Weg der Besserung zu sein, selbst wenn dies noch nicht lange so war.
Vor den Bäumchen schwenkte Toby seine Gießkanne wie ein Zauberer seinen Zauberstab, als wolle er sie in große Bäume verwandeln. »Baum!«, rief er dabei.
»Ja, das sind Bäumchen.« Louise nickte und warf einen Blick auf die Anweisungen, wie viel Dünger sie ihnen geben sollte. Sie sahen zwar alle gesund und kräftig aus, doch sie fand die Vorstellung furchtbar, dass sie sie Juliet irgendwann geben würde und sie dann verkümmern würden. Das wäre schrecklich symbolisch; immerhin war Juliet bekannt dafür, dass sie selbst die robustesten Zimmerpflanzen innerhalb von wenigen Stunden vernichten konnte.
Ich werde es schon merken, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dachte Louise und befühlte mit den Fingerspitzen die Erde. Sie stellte sich den Moment sehr schön vor, wenn Juliet von dem Erbe ihres Ehemannes erfuhr und dann neben den Tränen der Trauer auch Tränen des Glücks vergießen würde angesichts Bens Aufmerksamkeit und Liebe. Bis dahin war es ein beruhigendes Gefühl, die kleinen Kirschbäumchen heranwachsen zu sehen, neue Triebe zu entdecken und den Wurzeln dabei zuzusehen, wie sie sich tief und tiefer in die Blumenerde hineingruben. Sie hatte ihrer Schwester und dem armen Ben gegenüber ein besseres Gefühl, wenn sie ihnen wortlos zu helfen vermochte, da Worte ihnen in letzter Zeit immer mehr im Weg zu stehen schienen.
4
J uliets Lieblingsplatz im Haus war ihr großer Ohrensessel vor dem Wohnzimmerfenster. Von diesem aus konnte sie auf den langen, schmalen Garten hinausschauen, den Ben auf Vordermann hatte bringen wollen.
Viele Möbel hatten sie sich nicht leisten können, doch dieser Sessel war die erste echte »Investition« gewesen: Das antike Stück mit weichem Samtbezug hatten sie bei einer Versteigerung in der Stadt erstanden und im Ladebereich ihres Kastenwagens mühsam nach Hause transportiert. Juliet hatte viel zu hoch geboten, doch bei ihr war es Liebe auf den ersten Blick gewesen – nicht nur hinsichtlich des Sessels. Sofort hatte sie das Zimmer vor Augen, das sie um sein weiches rotes Polster herum dekorieren wollte.
Längst schon hatte sie sich für dunkelmaulbeerfarbene Wände und einen restaurierten Holzofen entschieden, neben dem sie im Winter gemütlich Tee trinken konnten, und auch für Mintons Körbchen sollte genügend Platz bleiben. Das Zimmer nach
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