Liebe kommt auf sanften Pfoten
Zukunft wie einen flachen grauen See vor sich liegen sehen: Dort war kein Land in Sicht, das man hätte ansteuern können, keinerlei Landzungen, um die herum es zu manövrieren galt – stattdessen herrschte einfach nur das Gefühl vor, dass sie immer und immer weiter von dem Glück und der Beständigkeit fortgespült wurde, die sie bis dato als ewig betrachtet hatte.
Juliet schloss die Augen und ließ sich von der Musik forttragen.
Es ist, als ob auch ich mit ihm gestorben wäre, dachte sie und schlang ihre Hand um Mintons warmes Ohr, als die ersten Takte von Fix You eine überwältigende Sehnsucht in ihr auslösten. Nichts Neues kommt in mein Leben; stattdessen geht mir all dieses alte Zeug durch den Kopf, und nach und nach scheint mir alles immer mehr zu entgleiten. Nichts mit »Fix Me« , das kann niemand mehr in Ordnung bringen.
X&Y war »ihr« Sommeralbum gewesen. Es erinnerte Juliet daran, wie sie gemeinsam auf dem Balkon ihres alten Hauses gelegen hatten und immer wieder in der Sonne eingedöst waren, während die Bienen die Blumentöpfe umschwirrt hatten. Sie waren nur selten in Urlaub gefahren, da Ben gerade in den Sommermonaten viel in den Gärten zu arbeiten hatte und Juliet die Speisen für Hochzeiten lieferte. Stattdessen hatten sie es sich zu Hause gemütlich gemacht und nachts auf dem Balkon unter Moskitonetzen geschlafen. Nachmittags waren sie ins Bett gefallen und hatten sich mit selbst gemixter Sangria betrunken.
Das war der glücklichste Moment in meinem Leben, dachte Juliet, als sie die plötzliche Erinnerung an Bens warmen Körper, der sich an sie presste, mit voller Wucht traf. Sie war damals in den frühen Morgenstunden wach geworden; Ben hatte seine nackten Arme um sie geschlungen und die Nase in ihrem Nacken vergraben. Danach hatte sie stundenlang einfach nur dagelegen und seinen dezent muskulösen Körper betrachtet. Dabei war sie fast ein wenig erschrocken darüber gewesen, wie sehr sie ihn liebte, und gleichermaßen erstaunt, dass der perfekte Mann für sie aus ihrer Heimatstadt und nicht aus irgendeiner Stadt auf der anderen Seite der Weltkugel stammte.
Warum hatte er sterben müssen? Diese Frage stellte sie sich zum millionsten Mal, während ihr heiße Tränen über die Wangen kullerten. Warum hatte es keine Warnung gegeben, damit sie den letzten Tag angemessen in ihrer Erinnerung hätte verankern können? Und dann eben nicht nur jenen letzten Tag, sondern gleich den ganzen letzten Monat und das gesamte letzte Jahr! Sie hätte ihm noch all die Dinge gesagt, die sie ihm immer hatte sagen wollen. Außerdem hätte sie sich einige Bemerkungen verkniffen, die er von ihr wirklich nicht hätte hören müssen.
Wie zum Beispiel die Frage: »Wie sollen wir jemals ein Kind bekommen, wenn du dich entschließt, für immer ein Teenager zu bleiben?«
Damals war ihr dieser Satz geradezu brillant vorgekommen. Aber eben nur als letztes Wort in einem blöden, albernen Streit, und nicht als das definitiv Letzte, was sie einem Mann an den Kopf warf, der ihr Leben war.
Juliet wand sich vor Scham. Bens verärgerte Miene schob sich vor den Anblick seiner goldbraunen Schultern, und sie legte schnell eine andere CD ein, die weniger schmerzvoll war. Mit der Band Athlete verband sie keine besonderen Erinnerungen, wenn man einmal von einem recht durchschnittlichen Konzert absah, das sie in Birmingham besucht hatten.
Minton zuckte auf ihrem Schoß herum; offenbar empfand er noch im Schlaf ihren Kummer. Auch er liebte den großen Ohrensessel und quetschte sich immer auf den winzigen Platz neben ihr, der noch frei war. Juliet spürte durch sein dünnes Fell hindurch, wie sich sein kleiner Körper aufheizte. Dies war ein beruhigendes Gefühl, während sie blind auf den Rasen hinausstarrte.
Ben hatte große Pläne für den Garten gehabt. Juliet verwahrte immer noch seine Entwürfe: bunte Bleistiftzeichnungen von Staudenrabatten, einem Kirschbaum, einem Gemüsegarten mit Kräuterbeet – mit seiner krakeligen Handschrift hatte er mühevoll alle Pflanzennamen daneben notiert. Sie hatte gern jeden Monat stapelweise Inneneinrichtungsmagazine kaufen dürfen, wenn sie ihm dafür nur nicht seine Krokusbeete und das Geißblatt, das er am Rosenbogen pflanzen wollte, ausgeredet hatte. Der Garten sollte schließlich nachts genauso magisch duften wie tagsüber.
Zwischen den Bäumen hatten sie eine Hängematte aufhängen wollen. Außerdem sollte genügend Platz für eine Schaukel und einen Sandkasten für Baby Falconer
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