Liebe läßt alle Blumen blühen
blickte dann nach rechts und fuhr auf einen Rastplatz.
Zwischen hohen Buchen und Birken standen ein paar Steinbänke und Steintische; an diesem frühen Morgen waren sie noch leer. Drei Lastzüge parkten nahe der Ausfahrt. Die Fernfahrer schliefen noch, ihre Kabinen waren verhängt.
Auch der blaue VW bog auf den Rastplatz ein und hielt in unauffälliger Entfernung. Kathinka Braun stieg aus, reckte sich und schüttelte die Haare. Auch Zipka kletterte vom Sitz, vollführte drei zackige Kniebeugen und meinte laut: »Ha, diese Luft! Und wie die Knochen krachen! In Ihrem Wagen muß man direkt zusammengeklappt sitzen.«
Dann saßen sie an einem der Tische. Zipka hatte seine Plastikdose ausgepackt, eine große Papierserviette wie ein Tischtuch ausgebreitet und servierte Kathinka seine Käsebrote. Auch eine Thermosflasche hatte er hervorgeholt. Der Tee war goldgelb und duftete köstlich: Zipkasche Mischung.
»Wissen Sie, daß es das erstemal ist, daß ich auf einem Rastplatz aus einem Behälter esse?« fragte Katinka.
»Und – gefällt es Ihnen?«
»Eigentlich ja.«
»Was heißt eigentlich?«
»Wenn es nicht gerade mit Ihnen wäre …«
Die beiden Männer aus dem blauen VW hockten zwanzig Meter weiter an einem Tisch und rauchten stumm. Sie musterten Ludwig Zipka und taxierten seine Stärke.
»Viel hat er nicht drauf!« meinte der Fahrer leise. »Den tippen wir an, und dann fällt er um. Es ist nur blöd, daß wir ihn mitschleppen müssen! Keine Komplikationen, hatten wir ausgemacht. Auf gar keinen Fall einen Toten! Die ganze Sache muß in dieser Beziehung sauber bleiben …«
3
Die erste Nacht verbrachten sie in Baume-les-Dames.
Das klingt sehr französisch – und das ist es auch: Ein verträumtes Städtchen zwischen Belfort und Besançon, an der Doubs, in einer gesegneten Landschaft mit weiten Blumen- und Gemüsefeldern gelegen; zwischen Weingärten und mit gemütlichen Bauernhäusern, die aussehen, als habe gestern noch die Jungfrau von Orléans in ihnen übernachtet.
Leider hatte Ludwig Zipka für diese romantische Schönheit kein Auge. Als Kathinka Braun auf dem kleinen Marktplatz bremste und die Tür des Wagens öffnete, rollte er sich von seinem Beifahrersitz, schlich gebückt zur Kühlerhaube, richtete sich dort auf, dehnte sich und betastete sich von oben bis unten. Kathinka starrte ihn fassungslos an.
»Hurra! Es geht noch!« hörte sie Zipka rufen. Dann lief er mit angewinkelten Armen dreimal um den Wagen herum und drehte zum Abschluß vor Kathinka auf dem Absatz eine Art Pirouette.
»Sind Sie jetzt total übergeschnappt?« frage Kathinka.
»Ich habe nicht geglaubt, daß ich noch zu irgendwelchen Bewegungen fähig bin.« Ludwig Zipka schüttelte die Hände in den Gelenken. Es sah ein wenig erschreckend aus. »Mein Gott, ich hatte schon Angst, Sie führen bis zur Camargue in einem Rutsch durch! Von Hannover bis Belfort mit einer kurzen Pause und einmal tanken! Und nun stehen Sie da, als wären Sie gerade einmal um die Ecke gefahren! Werden Sie eigentlich nie müde? Spüren Sie nicht Ihre Knochen?«
»Nicht beim Autofahren. Wenn ich hinter dem Steuer sitze, fühle ich mich wie befreit!«
»Das kann ja lustig werden. Wissen Sie, wieviel Kilometer wir heute hinter uns gebracht haben?«
»Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich wollte heute nach Baume-les-Dames, und ich bin da! Ich hatte die Stationen genau ausgerechnet.«
»Aha!«
»Bevor ich etwas unternehme, plane ich es genau.«
»Die Architektin!«
»Morgen geht es weiter bis Beaune, dort auf die Autobahn über Lyon nach Avignon. Hier biegen wir ab und fahren über Tarascon und Arles hinein in die Camargue.«
»Alles an einem Tag?«
»Das ist doch keine Kunst.«
»Wie ich das so nach dem ersten Tag sehe, scheinen Sie eine Kilometerfresserin zu sein.« Zipka lehnte sich gegen den vorderen Kotflügel und schüttelte zur Abwechslung seine Fußgelenke.
Kathinka verzog das Gesicht.
»Nehmen wir Avignon. Ist keine Zeit, den wunderschönen Papstpalast zu besichtigen? Oder die herrliche mittelalterliche Stadtrundmauer? Die muß man sehen! Acht Tore und neununddreißig Türme, glaube ich. Da beginnt man von Troubadours zu träumen …«
»Bitte, wenn Sie wollen, bleiben wir eine Stunde in Avignon.«
»Oder Arles! Das berühmte römische Amphitheater und die romanische Kathedrale. Hier residierten ab und zu die römischen Kaiser. Ab 406 war es Hauptstadt der Präfektur Gallien. Trara – tsching-bum!«
»Was soll denn das nun wieder?«
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