Liebe läßt alle Blumen blühen
Horchposten verlassen«, sagte sie plötzlich mit durchaus nicht müder Stimme. »Schließen Sie die Tür und dann – gute Nacht!«
»Sie heißt Jacqueline …«
»Wer?«
»Die süße Kellnerin. Ihr Zimmer liegt unterm Dach. Oberer Flur, links, vierte Tür von der Treppe …«
»Und warum sind Sie dann noch hier?« Nun war der Klang ihrer Stimme ausgesprochen giftig.
»Die Müdigkeit! Nur die Müdigkeit! Ich möchte tatsächlich nichts als schlafen! Tinka …«
»Schließen Sie endlich die Tür!«
»Sofort. Nur ein Wort …«
»Nein!«
»Ich werde nicht schlafen können.«
»Warum?«
»Mein Zimmer ist angefüllt mit Ihrem Duft …«
»Dann lüften Sie!«
»Ich werde mich hüten! Umgeben von Ihrem Parfüm werde ich träumen, in Ihren Armen zu liegen. Wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie mich nachts rufen hören – Tinka …«
Er schloß schnell die Tür, weil irgendein Gegenstand heranflog und in der Dunkelheit gegen das Holz knallte. Zufrieden legte sich Ludwig Zipka auf das schmale Feldbett, deckte sich zu und löschte das Licht.
»Schlaf gut, Tinka«, sagte er leise in die Dunkelheit. »Und glaub mir: ich liebe dich …«
Irgendwann in der Nacht hatte Zipka das Gefühl, das leicht angelehnte Fenster würde sich öffnen. Aber er war so müde, daß er nicht sofort reagierte. Dann gab es einen Schlag, ein schwerer Gegenstand fiel auf seinen Kopf, und er wollte aufspringen. Er war aber wie gelähmt, ein gewaltiges Rauschen und Brummen erfüllte seinen schmerzenden Schädel – und dann sank er in das Vergessen.
Irgendwann weckte ihn ein heftiges Klopfen an der Tür. Er hob den Kopf, hatte ein dumpfes Gefühl darin, blinzelte und erkannte, daß es heller Morgen war. Das Fenster stand tatsächlich weit offen, und neben seinem Bett, in Kopfhöhe, lag ein faustgroßer Stein, so ein richtiger graubrauner Feldstein, an dem ein Zettel klebte. Der Zettel war außerdem mit einem Gummiband festgehalten.
»Sechs Uhr!« rief Kathinka im Nebenzimmer. »Machen Sie sich zurecht, ich möchte auch noch ins Bad! Pünktlich um sieben fahren wir weiter!«
»Es dauert nur Minuten.«
Zipka rutschte von dem Feldbett, hob den Stein auf und las den Zettel. »Kehren Sie um«, stand da in Druckschrift, »oder Sie kommen nie wieder zurück. Die erste und letzte Warnung.«
Zipka ging zum Fenster, blickte hinaus, aber da war natürlich nichts zu sehen als ein blühender, üppiger Garten, überstrahlt von einer blanken Morgensonne und einem wolkenlosen blaßblauen Himmel. Ein Hahn krähte fröhlich, auf einer weiter entfernten, eingezäunten Wiese wälzten sich neun schwarzgefleckte Schweine.
Da nach allgemeinen Erkenntnissen weder ein Hahn noch Schweine mit Steinen werfen und Zettel schreiben, tapste Zipka zum Spiegel, betastete eine kleine Beule an der rechten Kopfseite und erinnerte sich daran, daß in der Nacht sein Schlaf durch einen merkwürdigen Schlag auf seinen Schädel unterbrochen worden war.
»Das fängt ja gut an, Ludwig«, sagte er zu seinem Spiegelbild, zog sich aus, duschte kalt und war froh, daß die Haare über die kleine Beule fielen und Tinka sie also nicht sehen würde.
Als es wieder energisch gegen die Tür klopfte, zog er sich an und öffnete. Den Stein warf er vorher aus dem Fenster, den Zettel aber steckte er in seine Hosentasche.
»Brauchen Sie immer so lange?« fragte Kathinka Braun. Sie sah bezaubernd aus in ihrem halbkurzen Morgenmantel. Die langen nackten Beine waren aufreizend. Die Haare hatte sie schon gekämmt und sich Mühe gegeben, sie wieder glatt über die Schulter fallen zu lassen – wie Ludwig Zipka es liebte.
»Ich bin ein reinlicher Mensch.« Zipka, mit bloßem Oberkörper, machte Platz und winkte einladend. »Hereinspaziert! Mein Hemd kann ich auch nebenan anziehen. Wenn es Sie interessiert – was Sie hier riechen, ist der männliche Duft von ›Torero olé‹. Eine Serie exquisiten männlichen Parfüms …«
»Ich rieche nichts«, sagte Kathinka und schloß ihm die Tür vor der Nase zu.
Er hörte kurz darauf das Wasser in der Dusche rauschen, zog sein Hemd über, setzte sich in den Sessel am Fenster und dachte darüber nach, wer ihm wohl einen Stein mit einer so eindeutigen Botschaft an den Kopf werfen konnte, und vor allem – warum? In der ganzen Aktion sah er keinen Sinn bis auf die Erklärung, daß ein noch unbekannter Verehrer von Kathinka Braun seine Anwesenheit als lästig empfand, weil er selbst die Absicht hatte, die alleinreisende Dame von den Freuden der
Weitere Kostenlose Bücher