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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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verändert. Früher wehrte sie jede Art von Gewissensbissen ab. Sie war fast stolz darauf gewesen, eine gewisse Härte an den Tag zu legen, eine Art moralische Rücksichtslosigkeit. Sie hatte die Courage zu tun, was ihr nützte. Doch seit sie einen Sohn habe, sagt sie, habe sie ihren Egoismus ein Stück weit abgelegt, sie mache öfter Dinge einfach, um jemandem eine Freude zu bereiten. Zum Beispiel ihrer Mutter. Nicht zuletzt ihrer Mutter.
    Die Namen in diesem Text wurden geändert.

DER VERLORENE SOHN
    Als Jugendlicher suchte Arno Orzessek (47) den lauten Bruch mit dem pietistischen Umfeld seines Vaters. Heute anerkennt er, dass das viele Beten und Bibellesen sein Denken und Empfinden tief geprägt haben. Damit kann sich sein Vater Willi Orzessek (80) aber niemals begnügen. Wenn sein Sohn nicht zum Glauben zurückfindet, ist das für ihn ein Zeichen, dass er selber nicht genug brennt für Jesus.
    Jesus kommt Willi Orzessek tatsächlich oft über die Lippen. Wie von selbst formen sie Gottes Wort, so wie es in der Lutherbibel geschrieben steht. Manchmal widerfährt Willi Orzessek auch das Mittel der Verzögerung, um die Funken seines Glaubens sprühen zu lassen. Ich will zum Beispiel wissen, ob er stolz sei auf Arno, seinen Sohn. Da schaut er mich lange lächelnd an. Dann lässt er den Blick zu seiner Frau hinwandern, die uns gerade Kaffee bringt, dann zu dem Blumen-in-Vase-Bild an der Wand und wieder zurück zu mir, immer lächelnd, geduldig und sanft. Endlich sagt er: »Stolz ist nichts Gutes. Man darf nicht stolz sein.«
    Willi Orzessek ist mittelgroß, eher schmal und strebt in äußerlichen Dingen Unscheinbarkeit an: kurzes Haar, goldgelbe Titanbrille, kariertes Hemd. Wenn er spricht, scheint er sich jedoch durchaus sicher zu sein, auf eine zurückhaltende Art. Ich frage, warum man nicht stolz sein dürfe, und er antwortet, weil ein auf sich stolzer Mensch damit seine Sünden verteidige. Aber stolz auf den Sohn zu sein, sei ja nicht dasselbe wie stolz auf sich selber zu sein, erwidere ich. Doch, entgegnet er, denn damit würde man dessen Sünden verteidigen. Ich frage, was denn die Sünden seines Sohnes seien. Da erscheint wieder dieses Lächeln auf seinem Gesicht. Ich warte, das Lächeln wartet auch, die Zeit vergeht. Das Lächeln vergeht nicht. Es bleibt vorläufig die einzige Antwort, die Willi Orzessek auf diese Frage zu geben bereit ist.
    Es ist nämlich so, dass er Vater von drei Kindern ist, zwei davon wandeln auf seinen, also auf Gottes Wegen, und das erfüllt ihn mit Freude. Da ist einerseits die Tochter, Ärztin, vierfache Mutter und mit einem evangelikalen Pastor verheiratet: »Sie hat schon früh zu Jesus gefunden.« Und da ist andererseits der jüngste Sohn, verheiratet, Vater eines Sohnes, Ergotherapeut mit eigener Praxis in Bayern: »Er hält die Verbindung zu Jesus aufrecht als Organist und als Dirigent eines Kirchenchors.« Und dann ist da noch Arno. Er studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte und hatte während des Studiums wie schon vorher, »viele unchristliche, wissenschaftliche Bücher gelesen«, sagt sein Vater. In der Bibel jedoch stehe: »Wissen bläht auf, aber die Liebe baut auf.« Und das versteht Willi Orzessek so, dass wahre, durch Gott beflügelte Erkenntnis sich nicht durch Analysieren einstelle, wie Arno das betreibe, sondern dadurch, dass man Gottes Schöpfung mit Ehrfurcht begegne, auf dass es zu einer Vereinigung komme, durch die das Leben weiter fruchtbar bleibe.
    Dass sein Sohn sich eher der weltlichen als der göttlichen Erkenntnis verschrieben hat, zeigt sich Willi Orzessek nicht zuletzt an seinem Lebenswandel: Arno ist unverheiratet, kinderlos und war schon mit mehreren Frauen liiert. Er mag Zerstreuungen wie Motorräder und Fußball. Außerdem trinke er gern Alkohol, obwohl geschrieben stehe: »Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge.« Arno ist Willi Orzesseks verlorener Sohn.
    Doch einen verlorenen Sohn gibt man nicht auf, »denn Gott liebt seine Kinder, selbst wenn sie sündigen«, sagt Willi Orzessek. Jesus nehme alle an, auch die, die sich ihm im letzten Augenblick zuwenden, zur Rückkehr sei es nie zu spät. Oder wie ein pietistischer Prediger gesagt habe: »Fallen ist menschlich. Nur liegen bleiben ist teuflisch.« Hoffnung bezieht er aus dem Umstand, dass Arno sich erst mit vierzehn, fünfzehn Jahren von Jesus ab- und den Reizen der mondänen Welt zugewendet

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