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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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ihr die Liebe ihrer Mutter zeitweise ein bisschen zu viel war, möchte sie auf keinen Fall, dass ihr Sohn das Gefühl bekommen könnte, nur geliebt zu werden, wenn er ihre Erwartungen erfüllt. Sie empfindet es als Glück, dass sie von ihrer Mutter so viel bedingungslose Zuwendung und Geduld erfuhr.
    Und wenn sie manchmal jede Ehrfurcht verloren haben mochte, so fühlte sie sich ihr dennoch immer nah. »Als Kind sowieso, zwischen fünfzehn und zwanzig bestimmt weniger, zwischen zwanzig und dreißig wieder sehr.« Katharina Scholl erinnert sich, dass sie während ihres Studiums in New York der Mutter oft Briefe schrieb, die selten beantwortet wurden. »Das spielte keine Rolle, auch als stumme Leserin meiner Gedanken war mir meine Mutter wichtig.« Während sie sich mit ihrem Vater intellektuell austauschte, konnte sie in Gegenwart ihrer Mutter sein, wie sie war, ohne Anstrengung, sie musste keine Rolle spielen, nichts darstellen. Das ist so bis heute, und das schätzt Katharina Scholl.
    Aber ihre Mutter sei immer sehr ängstlich gewesen, ängstlich und besitzergreifend. Manchmal wähnte sie sich begraben unter der mütterlichen Fürsorge. Sie habe zwar den Drang bekämpft, ihre einzige Tochter an sich zu binden, und auch ihre Angst, sie loszulassen. Sie ließ sie bei anderen Kindern übernachten und hielt sie nicht von zum Teil abenteuerlichen Reisen nach Italien ab, doch blieb die Überwindung, die sie das kostete, spürbar. Wenn Katharina Scholl früher das Gefühl beschlich, sie sei der Lebensinhalt ihrer Mutter, so hat sie jetzt das Gefühl, nun sei es Lino, ihr einziger Enkel.
    Elvira Scholl sagt, es sei wie eine Seelenverwandtschaft zwischen ihr und Lino. Auch er sei ein ganz Feinfühliger. Es tue ihr manchmal weh, wenn sie sehe, wie streng ihre Tochter mit ihm umgehe. Sie frage sich dann, ob sie vielleicht überfordert sei mit Mann und Beruf. Katharina habe ein Büro für Grafikdesign, und sie führe eine andere, gleichberechtigtere Partnerschaft als sie mit ihrem Mann, und das sei bestimmt anspruchsvoller. »Ich sehe das nur mit an und sage nichts.« Gegen ihre Tochter könne sie sich kaum durchsetzen, die sei wie ihr Vater gewandt im Umgang mit Worten, während sie selber diesbezüglich eher schwach sei.
    Manchmal möchte sie Lino gern eine Freude machen. Doch ihre Tochter sei da sehr heikel, das wisse sie inzwischen. Zum Beispiel wolle Katharina unter keinen Umständen, dass ihr Sohn Markenkleidung trage. Deshalb schneide sie jetzt das Etikett von Benetton oder was auch immer ab, bevor sie das Geschenk überreiche. Sie habe ein wunderschönes Bild für Lino gemalt und gehofft, er würde es über seinem Bett aufhängen, als Andenken an seine Nana, so nenne er sie. Aber ihre Tochter habe gesagt: »Nein, das passt nicht ins Zimmer.« Elvira Scholl fand das ein bisschen hart. Allerdings, vermutet sie, liege es vielleicht an der freien Erziehung, die Katharina genossen habe, dass sie sich nicht so gut in andere einfühlen könne. Oder vielleicht sei es die Herzlosigkeit, die heute allgemein gefordert werde, wenn man sich im Berufsleben durchsetzen wolle.
    Traurig war sie auch, als sie erfahren hat, dass der kleine Lino schon mit neun Monaten in eine Kinderkrippe kommen sollte. Doch sie habe lernen müssen, dass das heute üblich sei, und wenig gesagt. Katharina möge es nicht, wenn sie sich einmische. Wenn sie zum Beispiel zu ihr sage, dass Lino zu leicht angezogen sei, dann verbitte sich Katharina schnell jede Einmischung mit dem Hinweis, Lino sei ihr Sohn.
    Lino liebe seine Großmutter wirklich sehr, sagt Katharina Scholl. Auch wenn sie vielleicht manchmal Dinge mit ihm mache, die nicht mehr ganz altersgerecht seien, verbringe er gern die Zeit mit ihr und sie mit ihm. Ihre großmütterliche Besorgtheit aber sei zu viel. Stets habe sie das Gefühl, er sei zu wenig warm angezogen, er erkälte sich. Und immer mal wieder findet Katharina Scholl warme Wollsocken in der Tasche, obwohl Lino gegen Wolle allergisch ist. Oder die Großmutter kaufe dem Jungen eine Fellweste. Wenig subtile Hinweise darauf, was zu tun wäre.
    Katharina Scholl sagt, mit ihrer Mutter habe sie kaum je mit Worten gestritten, die Stärke ihrer Mutter sei eher eine Art passive Aggressivität. Wenn ihr etwas missfalle, verstumme sie hörbar, oder sie ziehe sich auf eine sehr sichtbare Weise zurück. »Sie kann einem wunderbar ein schlechtes Gewissen einjagen. Manchmal vielleicht sogar zu Recht.«
    In dieser Hinsicht hat Katharina Scholl sich

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