Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
meinen Namen leise, als würde er mit sich selbst reden, aber er hat das Mikrofon vor dem Mund, sodass alle es hören.
Ich gehe zur Bühne vor. Dieses Mal bin ich nicht vor Angst wie gelähmt. Ich fühle mich leicht und selbstbewusst. Ich möchte für dieses Baby ein Lied singen. Ich möchte ihm Musik schenken, so wie mein Dad mir Musik geschenkt hat. Ich will nicht, dass das arme Kind meine Macken bekommt.
»Was möchtest du singen?«
Nun muss erwähnt werden, dass Anton alles andere als unbesorgt klingt. Um die Wahrheit zu sagen, klingt er geradezu panisch. Ich vermute, er hat Angst, dass ich wieder schreiend aus seiner Kneipe laufe.
» Summertime «.
Er zeigt eine Art Lächeln und nickt, als wollte er sagen »Klar, was sonst?«
»Ich habe die Sam-Cooke-Version als Playback.«
»Perfekt. Nicht, dass mir die von Gershwin nicht gefallen würde.«
»Gracie Flowers, du kennst dich wirklich aus mit den Klassikern.«
»Mein Dad hat mir das Lied vorgesungen, als ich noch im Mutterleib war«, erkläre ich.
Diesem Mann möchte ich alles erzählen. Jede Erinnerung, jeden verrückten Gedanken möchte ich ihm mitteilen. Lieber Gott, bete ich für ihn, mach, dass ihm das erspart bleibt.
Ich hüpfe auf die Bühne und nehme das Mikrofon. Ich hatte seit vielen Jahren kein Mikrofon mehr in der Hand. Es fühlt sich viel schwerer an als früher. Anton startet das Playback und tritt in den Hintergrund. Mein Atem geht jetzt schneller. Ich schließe die Augen. Ich will die Gesichter im Pub nicht sehen. Ich möchte meinem Baby dieses Lied vorsingen.
Nach der ersten Strophe öffne ich die Augen und lächle ins Publikum, bevor ich weitersinge. Als ich fertig bin, bricht lauter Jubel aus, der hauptsächlich von Wendy kommt, die gerade durchdreht. Ich lächle, verbeuge mich mit einem kurzen Kopfnicken und drehe mich zu Anton, um ihm das Mikrofon zurückzugeben.
»Weinst du etwa?«, frage ich erstaunt.
»Das war wunderschön.«
Ich lächle.
»Begleitest du mich bei ESDS , Gracie?«, fragt er.
»Okay«, antworte ich.
»Wirklich?«
»Wirklich.«
»Ich habe meine Gesangspartnerin fürs Finale gefunden!«, ruft Anton und zeigt dabei auf mich.
Das Publikum explodiert, und ich muss an meinen Dad denken. Ich hoffe, er schaut gerade zu.
Seht ihr? Seht ihr? Am Ende wird alles gut.
57
Nachdem Danny Saunders mich zu dem beknackten Schulball eingeladen hatte, hielt mein Vater mir eine Predigt über die Liebe.
»Grace, mein Schatz, ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns über dieses crazy little thing called love unterhalten«, begann er. Das hat er definitiv gesagt, weil ich daraufhin Elvis imitierte. Es war keine gute Imitation, und als ich fertig war, meinte Dad: »Grace Flowers, in der Liebe wie auch in allen anderen Dingen braucht man große Pläne und hohe Ziele.«
Ich weiß, dass er das auch sagte. Ich habe es noch deutlich in Erinnerung, allerdings nicht die Details des restlichen Gesprächs, was ich bedaure. Dad beschrieb mir die Liebe und wie sie sich anfühlt, und ich weiß noch, dass er sagte: »Du weißt, dass es Liebe ist, wenn all deine Songs für ihn sind.« Ich wünschte, ich hätte eine Aufnahme von diesem Gespräch oder, besser noch, Dad wäre hier, dann könnte ich ihn bitten, seine Ansprache zu wiederholen. Ich habe lange nicht mehr daran gedacht, vielleicht ist das der Grund, warum sie aus meinem Gedächtnis verschwunden ist – Erinnerungen verblassen, wenn man sie nicht ständig wieder aufruft. Meine Songs waren nie für Danny. Ich habe mit dem Singen aufgehört, als wir zusammenkamen, und ich habe es zehn Jahre lang nicht mehr getan. Aber jetzt habe ich wieder Lust zu singen. Ich möchte für mein Baby singen. Ich möchte, dass mein Kind Musik liebt, so wie ich. Ich möchte, dass mein Haus wieder voller Musik ist. Aber es ist nicht das Baby, das mich an das Crazy-little-thing-called-love-Gespräch erinnert, sondern Anton. Ich glaube nicht, dass ich nur für ihn schwärme. Ich glaube, ich liebe ihn.
Ich frage mich, wie das wohl ist mit einem älteren Mann. Nicht in Bezug auf die Bettpraktiken – die sind wahrscheinlich genau dieselben –, ich meine, wie fängt man es überhaupt an? Ich glaube nicht, dass ältere Semester sich volllaufen lassen und dann übereinander herfallen, so wie meine Generation das handhabt. Ich bezweifle jedenfalls stark, dass es so lief zwischen Anton und Fran/Uma, der Edelprostituierten. Ich wette, sie ist eines Tages in seinen Pub geschlendert und hat ein Mineralwasser
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