Liebe macht blind - manche bleiben es
Dame wieder. Sie hatte ein anderes Kostüm an, und das war noch viel verknitterter als das gestrige, aber die Dame war darob nicht gram, sondern zeigte mir das Ensemble voll Stolz. „Ist doch toll, oder?“
„Es knittert auch ziemlich“, antwortete ich.
„Das ist ja irisches Leinen“, sprach die Dame. „Das muss ja knittern. Irisches Leinen knittert edel!“
Voll Stolz blickte sie auf ihr edles Geknitter, das jedem Sandleranzug Ehre gemacht hätte, mich aber in einen modischen Zwiespalt brachte!
Ich besitze nämlich auch so einen Knitterfrack, aber der ist aus echtem Waldviertler Leinen! Handgewebt! Darf der nun knittern oder darf er nicht? Kann ich stolz auf ihn sein oder muss ich mich über ihn ärgern? Wahrscheinlich erfahre ich das erst, wenn sich ein Modeschöpfer des Waldviertler Leinens erbarmt.
Ausspannen!
„Ausspannen und abschalten sollten Sie einmal ein paar Tage!“ Diesen Rat gibt man gern denen, die überlastet, überarbeitet und gestresst wirken. Der Rat ist ja wahrlich ein guter, nur fruchtet er leider meistens kaum, denn nichts im Leben fällt manchen Leuten schwerer als geruhsame Untätigkeit.
Sie sind ans „Eingespanntsein“ so gewöhnt wie ein alter Droschkengaul, sie sind so eingeschaltet wie ein zwölfflammiger Luster und haben keinen Kippschalter zum Abdrehen.
Ich weiß, wovon ich rede, denn ich gehöre auch zu dieser Sorte von Menschen. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als eine Woche lang einfach gar nichts tun zu müssen. Doch kommt dann alle paar Jahre einmal tatsächlich so eine Woche, dann bin ich ratlos und verwirrt.
Diese raren Wochen können mir natürlich nur in der Fremde zustoßen, denn daheim finden sich Leute wie ich, wenn sie der Berufsarbeit entsagen, schnell eine berufsfremde Arbeit, die sie schuften lässt wie Stachanow.
Eine alte Kredenz abbeizen etwa, alle Fenster streichen, die Möbel umstellen, den Dachboden entrümpeln, einen Blazer schneidern oder andere ungeheuer lebenswichtige Beschäftigungen.
Und der schöne Stress, diese Arbeit in der arbeitsfreien Zeit zu schaffen, ist gegeben.
In ferner Fremde jedoch bleiben einem derartige tagesfüllende Tätigkeiten verschlossen, und dann hockt man, sei es am Strand, sei es auf der Wiese, sei es in der Hotelbar, und tut unheimlich locker und entspannt, ganz so, als sei man beglückt dem Nichtstun hingegeben.
Aber tief drinnen in einem, da ist alles angespannt und irgendwas vibriert und liegt auf der Lauer. Und klingelt das Telefon auf der Theke der Hotelbar, zuckt man zusammen und fühlt sich betroffen.
Dass einen hier Telefongeklingel gar nichts angeht, dass hier absolut keiner etwas von einem will, muss man erst lernen. Es lässt sich natürlich lernen.
Am vierten Ausspanntag irritiert die Telefonklingel nicht mehr, am fünften schafft man es schon, in der Sonne zu dösen, ohne an zukünftige oder vergangene Berufsarbeit zu denken.
Am sechsten gelingt einem schon ein dreistündiger Mittagsschlaf, und am siebenten hätte man das Ausspannen und Abschalten kapiert.
Aber da muss man dann leider abreisen.
Ist vielleicht mein Verhältnis zur Mode gestört?
Die Mode und ich haben seit eh und je miteinander Schwierigkeiten gehabt. Als Kleinkind tobte ich über die Klamotten, in die man mich stopfte, weil sie meinem Körpergefühl nach viel zu locker saßen und auch kratzten. Als großes Kind litt ich unter Übergewicht und wollte von Kleidern überhaupt nichts wissen.
In meinen frühen Jugendjahren verzweifelte ich, weil die Teens-Mode noch nicht erfunden war und man entweder als Kind oder als Frau eingekleidet wurde; beides kam mir unpassend vor. In meiner späten Jugend hätte ich genau gewusst, wie mich einzukleiden, aber dazu reichte das Geld nicht. Ich schneiderte selbst und oft ohne viel Erfolg. So erinnere ich mich an ein schulterfreies Abendkleid, im Rücken bis zur Taille ausgeschnitten. Ich nähte es aus einem festen Seidenstoff und meinte deshalb, auf versteifende Einlagen verzichten zu können, was ein Irrtum war, weil die Stoffsteife von Appretur herrührte, die sich beim Tanzen, in Tuchfühlung mit Frackbrüsten, auflöste, weshalb ich die zweite Ballhälfte mit streng über der Brust verkreuzten, behandschuhten Armen zubrachte, um nicht „oben ohne“ dazustehen.
Dann kamen gute Zeiten, denn die Sackmode war leichter zu schneidern, aber das hielt nicht lang an. Bald entflammte ich für Courréges: Drei Wochen hockte ich über einem weißen Kostüm, um ihm exakte schwarze Kanten
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