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Liebe macht blind - manche bleiben es

Liebe macht blind - manche bleiben es

Titel: Liebe macht blind - manche bleiben es Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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und kaue und schlucke und nehme nicht wahr, ob ich Filet oder Eier in mich hineinstopfe.
    Unlängst trug ich meiner Mutter dieses Problem vor, und sie sprach: „Na klar! Wer wird sich denn mit sich selber so viel Mühe machen? Eine richtige Frau ist halt keine Egoistin, die auf sich selber schaut!“
    Da wurde mir allerhand etwas klarer. Wie wir so – von Generation zu Generation – unser frauliches Pensum erlernen, ist doch deprimierend. Oder?

Hat Mutter mich total verdorben?
    Meine Mutter hat mich in meiner Kinderzeit viel gelehrt. Das meiste, was sie mir beigebracht hat, erlernte ich nicht durch direkte Unterweisungen und Anleitungen, sondern dadurch, dass ich ihr zuschaute und zuhörte und mit ihr zusammenlebte.
    Sehr viel von dem, was sie mir so vermittelte, hat mir im Leben geholfen, manches allerdings könnte ich leichten Herzens missen.
    Meiner Mutter sind deswegen keine Vorwürfe zu machen. Sie hat mir ja, zum Beispiel, nie flehend oder drohend gesagt: „Christerl, wenn du einmal eine Familie haben wirst und einer in der Familie sagen wird, dass er Hunger hat, dann musst du schnell aufspringen und hurtig Nahrung herbeischleppen!“
    Nie hat meine Mutter auch nur etwas Ähnliches zu mir gesagt! Ich habe bloß eine ganze Kindheit und Jugend hindurch gesehen, dass meine Mutter aufgesprungen ist und Essen gerichtet hat, sobald einer in der Familie den Wunsch nach Nahrung geäußert hat.
    Das geht tiefer als alle mahnenden Sprüche und Erklärungen!
    Ich erinnere mich auch nicht daran, dass meine Mutter je sagte, eine Frau müsse sowohl den Haushalt erledigen als auch einen Beruf haben. Und dazu noch immer heiter und gelassen sein. Aber meine Mutter hatte einen Beruf und erledigte dazu noch alle Hausarbeit, inklusive Kinderkleider nähen und Pullover stricken und Tischtücher besticken. Und war heiter. Das genügt! Irgendwie komme ich mir schon schuldbeladen vor, weil ich eine Geschirrspülmaschine benutze und manchmal zehn Pullover in die Putzerei trage. Wo doch, laut meiner Mutter, die Sachen schneller kaputtgehen, wenn man sie nicht mit der Hand wäscht.
    Wer von einer Mutter großgezogen worden ist, die „Faulheit“ als die größte aller Todsünden ansieht, hat es nun einmal nicht leicht im Leben.
    Manchmal, nach Tagen und Wochen, in denen ich ziemlich viel gearbeitet habe, fühle ich mich matt und müde. Dann kann es vorkommen, dass ich mich aufs Bett lege und einschlafe. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich – von einem Familienmitglied, das nichtsahnend den Raum betrat, geweckt – erklärte, ich habe gar nicht geschlafen; bloß ein bisschen nachgedacht. Ist ja klar! Sonst könnte ja noch einer meinen, ich sei faul!
    Dass ich durch so ein Verhalten genau das an meine Töchter weitergebe, was ich leider von meiner Mutter gelernt habe, ist mir in solchen Augenblicken nicht bewusst.

Die Vertreibung aus dem Paradies
    Viele erwachsene Menschen, die auf eine halbwegs glückliche und halbwegs behütete Kindheit zurückblicken können, bedauern des Öfteren die Vertreibung aus dem sogenannten „Paradies der Kindheit“.
    Meistens ist der erwachsene Mensch bei diesem nostalgischen Rückblick ja enorm im Irrtum. So schön, so ungetrübt, so voll Glückseligkeit, wie er das verklärt erinnert, war sein Kinderleben garantiert nicht. Aber es gibt schon Sachen, die einem unwiederbringlich verloren gegangen sind, wenn man erst einmal sich selbst verantwortlich geworden ist und seinen Mann oder seine Frau zu stehen hat.
    Ich, zum Beispiel, trauere Herbst für Herbst, wenn mich ungeimpfterweise Schnupfen-Husten-Heiserkeit mit erhöhter Temperatur überfällt, meinen Kinderkrankenständen nach.
    Zehn Jahre alt sein, einen Wollschal um den Hals gewickelt haben und, die Füße in sauer riechende Essigpatschen gepackt, zu drei winzigen Schlückchen Majorantee überredet werden, einen vierten Polster anfordern dürfen, „Mama, der Hals tut weh“ jammern können, etwas Schöneres hat das Leben nie mehr zu bieten!
    Vor dem Fenster regnet es, und der Wind heult. Wer von draußen hereinkommt, ist nass und durchfroren und sagt, man könne froh sein, im warmen Bett zu liegen. Und in der Schule haben sie gerade Mathe-Schularbeit, und man ist total unschuldig daran, dass man sie versäumt.
    Ob man Lust auf Apfelkompott hat, wird man gefragt, und jede halbe Stunde wird einem die Tuchent gewendet. Und wenn man leidend klagt, dass einem bettlägerig „fad“ sei, erbarmt sich ein Familienmitglied und spielt Karten mit einem

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