Liebe macht blind - manche bleiben es
und verliert dabei aus lauter Mitleid absichtlich.
Das arme Hirn muss einmal abschalten
Natürlich kann man auch als Erwachsener, so man sich eine nette Familie gegründet hat, im Grippefall die Tuchent wenden lassen, um Majorantee bitten und Essigpatschen und Wollschal anfordern. Aber einen zu finden, den man ganz ernsthaft wegen der Halsschmerzen anjammern kann, ist schon schwerer. Und an die Arbeit, die man gerade erledigen würde, wäre man gesund, lässt sich heiteren Herzens überhaupt nicht denken.
Vor allem aber kann sich der erwachsene Grippekranke nicht mehr als geliebter Mittelpunkt der Familie vorkommen. Und das ist es ja, was die Krankenstände der Kinderzeit so wunderschön gemacht hat. An manchen Tagen, zu manchen Stunden, geht es ganz satanisch mit mir zu, und zwar so: Ich sitze wo und nehme – zum Beispiel – die Zeitung zur Hand und schlage sie auf und merke, dass ich in ihr nicht lesen kann, weil meine Brille nicht in Reichweite ist.
Also stehe ich auf, klemme mir die Zeitung unter den Arm und mache mich auf Brillensuche.
Kreuz und quer durchs Haus suche ich, und während ich emsig suche – wie das zugeht, ist mir ein Rätsel! –, vergesse ich, wohinter ich denn überhaupt her bin.
Dann stehe ich still und sage mir: Nur keine Panik! Ich kehre zum Ausgangspunkt zurück und setze mich – und gleich fällt es mir wieder ein: Ach ja, die Brille war’s!
So erhebe ich mich wieder und murmle: „Brille, Brille …“ und finde sie nun tatsächlich bald.
Aber nun ist die Zeitung weg! Die habe ich irgendwo, während der Brillensuche, abgelegt.
Also tue ich die Brille von der Nase, denn die taugt nur zum Lesen, aber nicht zum Auffinden von Gegenständen, die meinen Augen entfernter sind als sechzig Zentimeter, und das ist die Zeitung im Moment.
Ich mache mich auf Zeitungssuche und vergesse – suchend –, wonach ich suche, und erinnere mich und finde und habe die Zeitung und fahnde nach der Brille …
Manchmal spiele ich diese traurige Posse dreimal im Kreis mit mir durch.
Gedankenverloren, nennt das meine Mutter.
Das klingt ja gar nicht so übel! Ganz im Gegenteil. Nur Leute, die sich Gedanken machen, können so sehr in ihnen verloren gehen, dass sie auf ihre kleinen Alltagsbeschäftigungen total vergessen.
Der Jammer ist nur, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, an welche schönen, hehren und hohen Gedanken ich mich verloren habe. Bloß leer, unheimlich leer, komme ich mir bei solchen Aktionen im Kopf vor.
„Weil du sonst so viel denkst“, sagt meine Mutter. „Das arme Hirn muss eben einmal abschalten!“
Mütter sind doch etwas sehr Nettes!
Mein guter Vater, lebte er noch, würde mir glatt grinsend und brutal sagen: „Gräm dich nicht, bis zur totalen Verkalkung dauert es noch Jahre!“
Mein Fortschritt als Kaffeesiederin
Als ich zum ersten Mal, unter Anleitung meiner Mutter, Kaffee kochte, ließ ich Wasser in einem Topf sieden, schüttete Kaffeemehl dazu, drehte, als das schwarze Zeug schäumend hochkroch, schnell das Gas ab und wartete, bis sich die wallende Sache ordentlich gesetzt hatte.
Ein paar Jahre später kaufte meine Mutter eine „Karlsbader“. Da schäumte nichts mehr hoch, da brauchte sich nichts mehr „setzen“, da musste man bloß schlückchenweise Wasser zugießen. „Ein echter Fortschritt“, sprach meine Mutter. Allerdings dauerte das Zugießen seine Zeit.
So kauften wir ein paar Jahre später eine italienische Espressomaschine. Hei, ging das hurtig! Wasser einfüllen, Kaffee ins Sieb, zuschrauben, aufs Gas stellen, und schon brodelte oben schöner dicker Kaffee heraus. „Ein echter Fortschritt“, sprach meine Mutter.
Aber viel Gerbsäure war halt in so einem Kaffee, und die tat dem Magen nicht gut. So kauften wir ein paar Jahre später einen Filter samt Tüten. Das war aber nun wirklich einfach und bekömmlich! Kaffee in die Tüte, anbrühen lassen, aufgießen, und schon rieselte Kaffee in die Kanne. Und als wir dann erst die Filtermaschine hatten, da mussten wir nicht einmal mehr brühen und aufgießen, da tröpfelte die Sache automatisch vor sich hin.
„Ein echter Fortschritt“, sprach meine Mutter. Aber, ganz ehrlich, ein bissl dünn war der Filterkaffee schon, und herzkrank waren wir ja nicht! So kauften wir ein paar Jahre später eine richtige Espressomaschine wie im Kaffeehaus, nur kleiner. Anheizen, Kaffee ins Sieb, Sieb in den Siebhalter, Siebhalter in die Maschine, Hebel herunter, und schon blubberte fauchend tiefschwarze, schäumende
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