Liebe oder so
asymmetrischen Haarschnitt und ein graues Kostüm und hielt mir eine Tasse entgegen.
„Möchten Sie einen Kaffee? Oder lieber Tee?“
„Kaffee, bitte.“
Die obligatorische Besprechungstafel war zum Benutzen offenbar zu schade. Sie war makellos und sehr stylish, in der schwarzen Tischplatte spiegelten sich die Deckenleuchten. Weiter hinten saßen fünf Männer um einen kleineren Tisch und musterten mich neugierig.
„Milch? Sü ßstoff?“, fragte die Sekretärin. Der Mann ohne Namen wartete mit seiner Liste und stellte mich dann der versammelten Mannschaft als zweiter Platz vor. Er selbst setzte sich etwas abseits auf einen freien Stuhl.
„Herr May “, einer der Männer – anscheinend der Personalchef - erhob sich und schüttelte so heftig meine Hand, dass der Kaffee aus meiner Tasse schwappte und sich auf dem Unterteller verteilte. „Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem fabelhaften Entwurf!“
„Vielen Dank.“
„Ich habe Ihre Zeichnung sofort rausgegriffen und weitergeleitet“, sagte ein anderer eifrig und klopfte mir wie einem Sohn anerkennend auf die Schulter. „Ich wusste gleich, dass man Sie einladen würde.“
Da wusste er immerhin mehr als ich. All diese beflissenen und wohlwollenden Menschen erinnerten mich ein bisschen an meine Kommunionsfeier.
N ach und nach bekam ich Creative und Financial Directors sowie den Projektleiter des Drachenbuchs vorgestellt. Er trug Jeans und hieß Daumenhauer, was mich mal wieder über den Ursprung von Namen nachdenken ließ. Mit Ausnahme des Personalchefs war keiner der Anwesenden über vierzig.
Das Gespräch verlief trotz oder gerade wegen der Lobhudeleien auf meinen Entwurf formeller als erhofft. Sie hatten den Gewinnern der Ausschreibung ja bereits einen auf das Drachenprojekt befristeten Aushilfsjob in Aussicht gestellt. Da ihnen meine Entwürfe besonders gut gefielen, hatten sie sich wohl schon weitergehende Gedanken gemacht.
Daumenhauer legte mir zwei Blätter mit Manga-Zeichnungen vor. „Keine Angst, das ist kein Aufna hmetest oder so was. Ich würde nur mal gerne sehen, ob Ihnen zu einem der Blätter spontan eine Variante einfällt.“
„Variante?“
„Vielleicht eine Bewegungsstudie. Ist nur eine kleine Übung, die wir jedem Bewerber abverlangen.“
Ich hasste Mangas und hatte noch nie welche gezeic hnet, aber was tut man heutzutage nicht alles für einen Job? Das hier war eben das kämpferische 21. Jahrhundert, ohne Schwerter und Kulleraugen lief da nichts mehr, vielleicht passte ich in die Branche überhaupt nicht mehr rein.
Natürlich entwarf ich trotzdem zu beiden Blättern etwas, schließlich war ich ja extra angereist und wollte wenigstens guten Willen beweisen. Dafür, dass ich so etwas noch nie versucht hatte, sah das Ergebnis gar nicht so übel aus. Das sahen die directors offenbar ähnlich. Als ich den Besprechungsraum verließ, hatte ich nicht nur die Zusage für das Drachenbuch, sondern gleich auch noch die Aussicht auf einen festen Vertrag in der Tasche.
„Echt? Du hast die Stelle?“ Marie strahlte übers ganze G esicht. Uns allen war die Erleichterung anzusehen, trotz des zweiten Platzes hatte keiner von uns so recht dran glauben wollen.
„Er hat sie!“ Carolin umarmte mich, als sei ich gerade aus dem Krieg zurückgekehrt.
„Das müssen wir feiern“, meinte Chris und boxte mich in die Seite.
„ Aber nicht hier.“ Ich bugsierte die drei an den anderen Bewerbern vorbei nach draußen, die uns missmutige Blicke hinterherwarfen.
Wir fuhren in die Innenstadt und hielten Ausschau nach einer guten Pizzeria. Die anderen redeten auf mich ein, doch ich war geistig unter Wasser und bekam nichts mit. Wie ich so hinter dem Lenkrad klemmte, fühlte ich mich seltsam und nur wenig erleichtert. Die Angst, die mich die letzten Tage über in der Mangel gehabt hatte, war noch nicht ganz verschwunden. Sie zog sich nur langsam aus dem verlorenen Gefecht zurück und zeigte Nachwirkungen.
Aber es gab noch andere Gründe für meine gemischten Gefühle, und beim Essen hielt ich es nicht mehr aus und erzählte davon.
„Und w ann?“, fragte Marie tonlos.
„Sie meinten, am besten sofort. Eine Zeichnerin ist schwanger und geht Ende Juni in Mutterschutz.“
„Oh.“ Caro warf Christian einen kurzen, prüfenden Blick zu.
„Wie willst du das denn in der kurzen Zeit alles hinkriegen? Und wegen der Wohnung musst du doch b estimmt ne Kündigungsfrist oder so einhalten, oder? Umziehen, wie stellen die sich das denn
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