Liebe oder so
gut?“
In Zeitlupe drehte er sich zu mir um. Das Zittern hatte inzwischen seinen ganzen Körper erfasst, es schüttelte ihn regelrecht durch. Mit Angst im Blick hielt er mir seine außer Kontrolle geratene Hand hin, es war wie in einem Horrorfilm, und in der Tat warf ich einen kurzen Blick in Richtung der Schemazeichnung.
Bevor ich noch i rgendwas unternehmen konnte, verdrehte der Doktor die Augen und schlug der Länge nach vor mir hin. Der Kopf knallte hart auf dem Linoleum auf, er machte nicht mal den Versuch, sich abzufangen.
Mit einem Satz war ich an der Tür und schrie nach Hi lfe. Der Arzt wand sich zähneknirschend auf dem Boden, aus seinem Mund sickerte Blut. Ich war nicht ganz schlüssig, was ich tun sollte, ich vertraute da ganz auf die Arzthelferin, die musste so was schließlich wissen. Ich für meinen Teil tippte auf Epilepsie, ich hatte mal einen Film darüber gesehen und erinnerte mich daran, dass sich einer die Zunge abgebissen hatte. Ich sah mich um, das Stethoskop war dem Arzt vom Hals gerutscht, ich schnappte es mir und klemmte ihm einen der Bügel zwischen die Zähne.
„Gehen Sie zur Seite!“, herrschte mich das Mädchen an, das in diesem Augenblick neben mir auftauchte. Das tat ich nur zu gerne, ich sah ihr dabei zu, wie sie sich rit tlings auf ihn setzte und ihm ein Kissen unter den Kopf schob. Offenbar war sie mit der Situation vertraut. Ohne hinzusehen, griff sie hinter sich in eine Schublade und brachte eine Einwegspritze zum Vorschein.
„Sie müssen mir helfen ! Halten Sie seinen Arm fest!“, schrie sie, und ich kniete neben den beiden nieder. Der Arm des Arztes zuckte wie wild zwischen meinen Händen, ich musste alle Kraft hineinlegen, um ihn einigermaßen ruhigzustellen. Währenddessen zog das Mädchen mit einer Hand die Spritze auf, ich sah das Ding schon in meinem Arm stecken, bei der Zappelei konnte sie unmöglich zielen.
Ich wandte mich ab, als sie ihm seine Dosis Irgendwas setzte, und in dem Moment lockerte ich wohl meine U mklammerung, jedenfalls entwand er mir seinen Arm und ruderte damit durch die Luft, die Spritze stak noch darin. Der Anblick machte mich fertig, aber ich fing ihn wieder ein und hielt fest, bis seine Kräfte nachließen. Nass geschwitzt setzte ich mich auf die Bahre und schnappte nach Luft.
„Los, wir müssen ihn hinlegen! Packen Sie mal mit an!“, blaffte mich das Mädchen an. Was blieb mir übrig, der Kerl war schwer und schlaff wie ein nasser Sack, und als er endlich auf der Bahre lag, war mir speiübel. Zehn M inuten saßen wir da, das Mädchen maß den Blutdruck bei ihrem Chef, während ich, der Patient, das Gefühl hatte, mein Leben auszuhauchen.
„Wenn dafür nicht wenigstens ne Krankschreibung bis nächste Woche drin ist, schmeiß ich ihn wieder auf den Boden“, sagte ich, als ich wieder etwas Luft bekam.
An solch nasskalten Tagen war niemand unterwegs außer diesen Frauen, die sich aus Angst vor Triebtätern riesige Hunde hielten und nun gezwungen waren, bei Wind und Wetter mit ihnen Gassi zu gehen. Ich machte einen großen Bogen um sie, schlug den Kragen hoch und sah zu, dass ich wieder nach Hause kam, ehe sich der Nieselregen zu einem Wolkenbruch auswuchs.
Christian war nicht da, er hatte mir die letzte Scheibe Toast weggegessen und sein Geschirr stehen lassen. Einer der Gründe dafür, weshalb ich mich immer geweigert hatte, in einer Wohngemeinschaft einzuziehen, war der, dass ich einen Ekel davor hatte, anderer Leute Dreck zu beseitigen. Ich fluchte auf Chris und kramte nach Knäckebrot. Den Rest des Tages verbrachte ich auf der Couch. Es ist erschreckend, was man da so im Fernsehen serviert bekommt, wozu brauchte ich eigentlich vierzig Kanäle, wenn auf allen der gleiche Müll lief?
Ich versuchte es mit Lesen, schließlich wartete bereits seit Wochen der neueste Irving auf mich. Doch ich konnte mich absolut nicht konzentrieren und gab nach fünf Seiten auf, weil ich mich schon nicht mehr erinnern konnte, wie der Roman eigentlich angefangen hatte. Ich legte ihn weg und machte mir einen Grog. Immer noch keine Spur von Christian, ich fragte mich, wo er steckte. Wenn ich ihn schon bei mir wohnen ließ, konnte er sich immerhin revanchieren und sich nützlich machen.
Das Telefon klingelte, ich brauchte eine Weile, bis ich mich von der Decke befreit hatte und abnahm. Es war Carolin, und sie schien ziemlich aufgelöst zu sein. Also schlug ich vor, sie solle doch vorbeikommen.
„Ist Christian da?“
„Nein.“ Wieso war das
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