Liebe oder so
Von Schnee allerdings war keine Spur mehr zu sehen, was die ganze Dekoration irgendwie unecht wirken ließ.
Ich musste an Sonja denken, die diese Jahreszeit liebte und mich alljährlich dazu genötigt hatte, einen Tannenbaum zu besorgen und gemeinsam mit ihr zu schmücken. Das konnte jetzt dieser Richard erledigen, vielleicht war er ja Hobbyholzfäller und ein Anhänger des Weihnachtskultes. Ich hätte nicht sagen können, dass ich neidisch war, nur Sonjas Plätzchen würden mir dieses Jahr fehlen.
25
In der darauffolgenden Woche hatte ich mein erstes Vorstellungsgespräch - in einer Lackiererei. Doch selbst wenn ich vorgehabt hätte, den Fehdehandschuh aufzuheben und es noch einmal in dem Beruf zu versuchen, hätte es nichts genutzt. Der Meister suchte eigentlich nur vorübergehend ein Mädchen für alles, weil sein Lehrling wegen eines gebrochenen Beins für vier Wochen ausfiel. Er sah schließlich ein, dass wir beide ohne einander besser dran waren.
Es passte mir ganz gut in den Kram, dass mich Ibrahim ein paar Tage später doch noch anrief. Er hatte es sich inzwischen überlegt und bot mir an, probehalber eine Tour für ihn zu fahren. Der Job klang easy, die Bezahlung war gut.
„Wenn dich einer anhält, lass dir seinen Ausweis ze igen“, sagte Tarik. Er war der Eminem-Typ aus der Dönerbude und außerdem Ibrahims Ältester.
„Ausweis?“
„Man kann nie wissen. Hier unter dem Sitz ist ein Baseballschläger – für alle Fälle.“
„Du scheinst ja schwer auf Sport zu stehen .“
Er guckte mich an. „Wieso?“
„Na ja, die Mütze, der Schläger… nur so.“
„ Im Handschuhfach ist Tränengas-“
„F ür alle Fälle, nehm ich an?“
„Für alle Fälle.“
„Schön, dann kann ja nichts mehr schief gehen. Und du bist sicher, dass da hinten keine Stinger-Raketen oder so was drin sind?“
„Ja“, sagte er knapp.
Mir war die Sache nicht geheuer, aber das Geld kam mir gerade recht, und außerdem hatte ich schon zugesagt. Als ich die Stadtgrenze hinter mir hatte, bog ich auf den erstbesten Feldweg ein und inspizierte die Ladung. Es war alles gut verpackt, ich musste eins der Pakete aufschneiden, um einen Blick auf den Inhalt riskieren zu können.
Handies. Hüllen für Handies , um genau zu sein. In tausend kunterbunten Farben und für alle möglichen Marken. Ich durchwühlte den Kram, leerte alles auf der Ladepritsche aus, fand aber keinen Hinweis auf Drogen oder ähnliches.
Ich schnitt einen weiteren Karton auf und dann noch einen. Alle enthielten Schund, Billig-Sonnenbrillen, Feuerzeuge, Spülschwämme, Seidenfächer und so weiter, ich verstand das alles nicht. Wieso diese Aufregung mit Tränengas, Ausweis und so weiter?
Unterwegs kaufte ich mir in einem Baumarkt eine Rolle Packband und klebte die Kartons sorgfältig wi eder zu. Eine Stunde später erreichte ich die Grenze. Zollkontrollen gab’s nur noch sporadisch, unbehelligt verließ ich Deutschland mit meinen Plastikkämmen und Lavalampen.
An einer Raststätte legte ich einen kurzen Zwische nstopp ein und kaufte Zigaretten, ich lag gut in der Zeit. Während ich eine rauchte, guckte ich mir den Wagen von oben bis unten an, konnte aber selbst im Motorraum nichts Ungewöhnliches feststellen.
„Da bist du ja endlich“, empfing mich der Typ, bei dem ich die Päckchen schließlich ablieferte. „Hat Ibrahim dir nicht gesagt, dass das Ganze eilt?“
„War viel los unterwegs“, murmelte ich und half ihm beim Ausladen. „Was ist das eigentlich für Zeugs?“
„Ach, alles Mögliche. Kosmetik, Handyhüllen, türkischer Krimskrams. Ibrahims Bruder importiert den Kram und verteilt ihn dann auf seine Läden hier und in Deutschland.“
„Und davon kann man leben?“, fragte ich.
„Tja, irgendwie schon. Er spart halt beim Personal, da sitzen überall Verwandte.“
Wir waren mit dem Ausladen fertig, und er reichte mir die ersten Kartons für die Rückfahrt.
„Und was ist da drin?“
„Ich nehme an, der gleiche Kram“, meinte er.
„Du meinst, ich fahr wieder mit dem gleichen Quatsch zurück?“
Er zuckte die Schultern. „Vielleicht tauschen die unte reinander was aus, was weiß ich.“
Also verluden wir die Kartons in dem Lieferwagen, und ich machte mich wieder auf den Rückweg. Ich war spät dran, daher nahm ich diesmal nur den Inhalt des größten Kartons unter die Lupe. Er enthielt Nudelhölzer, Scheibenwischerblätter und ein kitschiges, beleuchtbares Bild der Kaaba in Mekka.
Auf der Fahrt hielt ich die Autos im
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