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Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Montag
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Apfeltasche war höllisch heiß, schon am ersten Bi ssen verbrannte ich mir die Zunge. Irgendwie hatte ich die Dinger leckerer in Erinnerung gehabt, dieses hier war viel zu süß und schmeckte seltsam künstlich. Nach der Hälfte gab ich auf und widmete mich meiner Cola, die inmitten der vielen Eiswürfel einzufrieren drohte.
    „Was steht als nächstes an?“, fragte ich müde.
    Ein weiter Weg lag noch vor uns. Wenn ich nur daran dachte, dass wir nach all den Einkäufen das ganze Zeug auch noch abholen und verladen mussten, wurde mir schon schwummerig. Carolin dagegen kam gerade so richtig in Fahrt.
    „Also, zuerst die Sportklamotten für meinen Vater, dann könnten wir da drüben mal nach dieser Küche nmaschine gucken, die sich meine Schwester gewünscht hat, und danach dachte ich...“
    Meine Gedanken schweiften ab, ich konnte nichts dafür. Mit Anfang zwanzig hatte ich aus reiner Lust am Anderssein Dante gelesen und mir vorzustellen versucht, an welcher Stelle seines Infernos ich wohl einmal landen mochte. Wahrscheinlich existierte für Typen wie mich ein Höllenkreis, in dem man dazu verdammt war, sämtliche Frauen ihres Lebens auf ihrem 24stündigen Einkaufsbummel zu begleiten – und das jeden Tag aufs Neue.
    In dieser Verfassung kaufte ich jeden Müll, zu dem man mir riet. Willenlos war ich dem Konsum ausgeliefert, und wenn ich dadurch wieder nach Hause durfte, hätte ich jedes Geständnis unterschrieben, das man mir vorlegte. Die Männer, denen wir unterwegs begegneten, machten offenbar ähnliches durch, sie hatten rotgeränderte Augen und unterdrückten nur mühsam ein Gähnen.
    Es war schon spät, als wir unsere Einkäufe um die Tüten ergänzten, die wir in dem Paketbus zurückgela ssen hatten. Tatsächlich standen nur noch einige Kleinigkeiten aus, die wir in den nächsten Wochen mal eben zwischendurch besorgen konnten. Angesichts der Fülle von Tüten und Taschen schlug Carolin vor, den Wagen holen, während ich bei dem Bus blieb und auf die Sachen aufpasste.
    Der Fahrer, der in einem Mag azin blätterte, erkannte mich wieder und bot mir einen Kaffee aus seiner Thermoskanne an.
    „Viel los?“, fragte ich und trank einen großen Schluck. Das bisschen Sonne, das den Weg durch die Wolken gefunden hatte, war inzwischen verschwunden, es herrsc hte eine schneidende Kälte.
    „ Grauenvoll“, meinte er, „bin froh, wenn der ganze Rummel vorbei ist.“
    „Meine Zeit ist es auch nicht.“
    „Wenn’s nur das wäre. Meine Frau ist vorletztes Jahr an Weihnachten gestorben. Jetzt darf ich diese Schichten hier schieben, weil die anderen Fahrer alle Familien zu Hause haben.“ Er warf mir einen Blick zu und sah sehr müde aus.
    „Tut m ir leid für Sie.“
    Wenn ich daran dachte, dass ich morgen ausschlafen konnte und dem Weihnachtsfest g elassen entgegen trat, hatte ich direkt ein schlechtes Gewissen. Zwar würde auch ich allein sein, aber das war eine ganz andere Geschichte.
    „ Ach was“, er winkte ab, „wenn ich daheim wäre, würd’s mir auch nicht besser gehen.“
    „Ich hab ne Idee“, sagte ich, „passen Sie kurz auf meine Päckchen auf?“
    „Das ist mein Job. Macht einsfünfzig.“ Er lachte.
    Ich lief ins nächste Viertel, wenigstens wurde mir warm dabei. Hier hatte ich ne ganze Weile gewohnt, es gab inzwischen viele neue Läden, die ich nicht kannte, aber die kleine Bäckerei an der Ecke existierte immer noch. Sogar die alte Kassiererin war noch die gleiche.
    Der Busfahrer machte große Augen, als ich den Pappteller auf sein Armaturenbrett stellte.
    „Nougat- und Marzipan-Croissants, die besten der Stadt“, erklärte ich.
    Jenseits der Fußgängerzone sah ich Carolin vorfahren. Ich schnappte mir die Tüten und wünschte dem Mann einen schönen zweiten Advent.
    „Ihre Croissants .“ Er hielt mir den Teller hin, aber ich schüttelte den Kopf.
    „Sind für Sie. Außer... dem hier.“ Ich klemmte mir eins davon zwischen die Zähne und lief hinüber zu Carolin, die im Halteverbot stand.
    „Was ist das denn?“, fragte sie, als ich die Taschen in den Kofferraum lud.
    „Nougat-Croissant. Hier, für dich!“
    „Äh... danke.“ Sie besah sich das angebissene und zerdrückte Tei lchen. „Hast du mit nem Hund darum gekämpft?“
    „Du musst es nicht essen.“ Ich streckte die Hand d anach aus, aber sie brachte es rasch in Sicherheit.
    „So war’s ja auch wieder nicht gemeint.“
    Die Stadt war nun ein einziges Lichtermeer, selbst die Ausfallstraßen hatte man weihnachtlich geschmückt.

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