Liebe oder so
Mutter in der Küche zubereitete.
I n einem Anfall von Sentimentalität war ich versucht, bei Helene und Ludwig auf die Möglichkeit hin anzurufen, Sonja an die Strippe zu kriegen. Stattdessen wählte ich auf gut Glück Maries Nummer, vielleicht war sie ja doch aus irgendwelchen Gründen zu Hause geblieben. Es klingelte ewig, dann schaltete sich das Band ein. Ich legte wieder auf und packte den Karton ins Regal. Mein Badewasser war kalt, ich zog mich an und drehte eine Runde um den Block.
Obwohl ich versuchte, nicht an Marie zu denken, bekam ich sie nicht aus meinem Kopf raus. Das war etwas and eres als die Erinnerungen an Sonja, bei Marie war noch alles drin für mich. Klar, ich hatte guten Grund, sie wegen der Gebirgstour und allem zu verfluchen, aber ich hätte sie nicht weniger gewollt, wenn ich gewusst hätte, dass sie mit einer ganzen Kompanie schlief.
Ich versuchte mir einzureden, dass die Umstände bei ihr nicht zählten. Der ganze Ballast, den wir alle mit uns herumschleppten, Zukunft, Kindheit, Gegenwart, Ex-Partner, Alltag. Ich war an ihrem inneren Kern interessiert, ich wollte, dass sie sich für mich so weit entblößte wie für keinen anderen Mann. Die ganze Zeit über hatte ich geglaubt, diese Phantasie beruhe auf Sex, doch das hier war mehr als das. Und es schien mehr als das zu sein, was Sonja und mich vier Jahre lang zusammengehalten hatte. Liebe oder so, ich war mir da noch nicht sicher.
Den Fünfundzwanzigsten verbrachte ich komplett im Bett, ich stand nur auf, wenn ich pinkeln musste. Carolin kam spätabends von einem Besuch bei Armins Familie und ihrer Tante zurück, am nächsten Tag waren ihre eigenen Eltern an der Reihe. Ich musste ihr noch einmal versprechen, später vorbeizuschauen, und obwohl mir allein beim Gedanken an Konversation mit ihren Eltern gruselte, war ich nach dem Videomarathon froh für jede Abwechslung.
Caro s Mutter zog gnadenlos das ganze Programm durch und drückte mir sogar ein Geschenk in die Hand. Es war ein Nasenhaartrimmer mit dem Namen ihrer Krankenkasse auf der Seite, wahrscheinlich ein Werbegeschenk. Wenn ich sie nicht besser gekannt hätte, wäre mir der Gedanke an einen Scherz gekommen.
„Jaa – danke schön, das kann ich gut gebrauchen“, sagte ich und klemmte mir das Teil spaß eshalber unter die Achsel.
„Aber nein “, meinte sie vorwurfsvoll, „das ist für die Nase !“
Wir aßen fette Sahnetorte, während die Wohnung um uns herum in bunten Lichtern blinkte. Ich verteilte zah lreiche Komplimente und verabschiedete mich rechtzeitig vor dem Abendessen, Carolin und Armin mussten notgedrungen dableiben.
Von diesem Horst war nie mehr die Rede gewesen, was mich etwas beruhigte. Dafür sprach Caro in letzter Zeit wieder häufiger von Oliver, mit dem sie sich gelegentlich traf. Die momentanen Verhältnisse machten ihr zu schaffen, sie schien nicht zu wissen, wo sie hin gehörte. Ich dafür um so mehr, meine Couch nahm mich mit offenen Armen auf.
Die Tage zwischen den Jahren zogen sich zäh hin wie ein einziger Totensonntag. In der Stadt herrschte verhaltenes Gemurmel, die Menschen schlichen vorsichtig durch die Straßen und schienen darauf bedacht, im alten Jahr auf den letzten Drücker nichts mehr falsch zu machen.
27
Remy von nebenan lud uns zu seiner Silvesterparty ein. Samstags fuhren wir alle zum Supermarkt und kauften Hektoliter Bier und Berge von Fleisch fürs Fondue zusammen. Sein schwerer Wagen verzog allerdings keine Miene.
Hinter einer Kurve sprang uns ein kleines Mädchen direkt vor die Motorhaube. Remy ging hart in die E isen, und ich stieß mir meinen frisch bandagierten Kopf am Türholm, weil ich mich nicht angeschnallt hatte. Ein stechender Schmerz raste durch meinen Schädel, während eine kleine Galaxie vor meinem Auge tanzte. Jenseits des Sternenhaufens lief das Mädchen weiter, ohne sich auch nur umzudrehen.
Ich hatte mich am Abend zuvor mit Marie und anschließend auch noch mit Carolin gestritten. Nichts Ernstes, aber Caro und ich schlichen immer noch umeinander herum und mühten uns ab, einander nicht zu beachten. Marie war gleich nach dem Krach wieder abgedampft und hatte sich nicht mehr gemeldet.
Wie das Ganze los gegangen war, wusste ich selbst nicht mehr, bloß dass sie Silvester nicht mit uns feiern würde. Negative Schwingungen waren schon vorher da, ich spürte sie, kaum dass sie die Tür herein kam, meine Nackenhaare stellen sich in solchen Fällen immer senkrecht auf.
Die Gebirgstour mit Jochen und
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