Liebe Unbekannte (German Edition)
vor allem heraus, dass über diese Angelegenheit keine Dokumente existieren. Was die Frage aufkommen lässt: Wenn es über etwas keine auffindbaren Dokumente gibt, wo könnte es dann doch welche geben? Na, was denkst du?“
Das war klare Sache, selbst für mich.
„In Moskau?“, fragte ich stolz.
„Weise gesprochen. Wenn diese Dokumente irgendwo auffindbar sind, dann in Moskau, nirgendwo anders. Ja, nur schweigt der Sowjet nach guter alter Gewohnheit auch über dieses Thema wie ein Grab. Dabei haben sich Rákosi und seine Genossen die Idee, die Donau umzuleiten und nachzuschauen, was sich so auf dem Grund des Flusses befindet, nicht aus den Fingern gesogen. Und der panikartige Abbruch der ganzen Aktion kam auch nicht von ungefähr. Beides geschah auf Befehl. Und die Befehle kamen jeweils von dort, wo man mehr wusste als hier: Wie du selbst schon richtig festgestellt hast, aus Moskau. Soweit ich weiß, träumst du manchmal von der Donau. Bin ich richtig informiert?“
„Na ja, manchmal.“
„Gut. Würdest du uns vielleicht einen dieser Träume erzählen?“ Ungeschickt fügte er hinzu: „Die schlüpfrigen Details kannst du diesmal weglassen.“
Ich wurde feuerrot.
Du Esel, streng dich an
.
Tante Judit rettete mich.
„Und wenn ich Tomika den Kater als Ostergeschenk gebe, als Dankeschön für das Begießen? Dann kann er ihn nicht mehr ablehnen. Stimmt’s Tomilein, das wäre doch eines kleinen Gentleman unwürdig? Ein Ostergeschenk muss man annehmen.“
„Meine liebe Jutka, wir besprechen das zu Hause“, antwortete Vater für mich.
„Wie sieht es bei euch aus?“, fragte Onkel Lajos. „Läuft die große Kleideranprobe?“
„Also, diese Mädchen! Du, Onkel Lajos“, sagte Tante Judit (wie immer) voller Erstaunen. „Das sind ja schon richtige Frauen. Alle meine Sachen passen ihnen, ein bisschen zu breit sind sie vielleicht, aber ihre Mutti wird das schon hinbekommen. Tomilein müssten wir noch einkleiden, meinst du nicht, Onkel Lajos? Denn die Armen sitzen ja sogar zu Hause noch im Wintermantel herum.“
Sie warf einen Seitenblick zu Vater, ich ebenfalls, sein Gesicht zuckte leicht, aber er antwortete nicht. Oder doch.
„Meine liebe Judit, es ist Frühling“, sagte er etwas zu spät. „Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest“, fügte er mit abnehmender Lautstärke hinzu und winkte ab, denn Tante Judit konnte ihn nicht hören, da sie wieder zu Onkel Lajos sprach.
„Was denkst du, wäre dein grüner Pullover nicht etwas für Tomilein? Er ist ja schon genauso groß wie du!“
„Und was ist mit der Gewichtsdifferenz von einem halben Zentner?“, fragte Onkel Lajos lachend. „Ein schlankes Mädchen würde dann noch prima neben ihn hineinpassen.“
Du Esel, streng dich an
.
Mein Gesicht erglühte schon wieder.
„Sein Vater hat doch nichts dagegen, wenn wir Tomi lein Onkel Lajos’ grünen Pullover schenken, oder?“
„Lasst mich da raus, Jutka“, sagte Vater gereizt. „Außerdem sitzt bei uns keiner im Wintermantel herum. Es ist Frühling.“
„Worin sitzt ihr dann herum?“
„Was interessiert es dich, worin sie herumsitzen?“, fragte Onkel Lajos geduldig. „Sie sitzen darin herum, worin es ihnen gefällt.“
„Aber seine Mutter hat es gesagt. Tomilein, mein Herzblatt, erzähl Onkel Lajos doch mal, worin ihr zu Hause herumsitzt.“
Vater öffnete den Mund zum Brüllen, aber Onkel Lajos kam ihm zuvor.
„Sie sitzen in Unterhosen herum, was geht dich das an. Geh hinein!“
Tante Judit machte ein beleidigtes Gesicht und ging hinein. Dann drehte sie sich jedoch noch einmal um und sagte:
„Ich will gar nicht stören, unterhaltet euch ruhig. Aber, Onkel Lajos, weißt du was? Diese Gerda ist ja so ein kleines Scheusal geworden, seitdem wir sie das letzte Mal gesehen haben. Soll ich sie überhaupt fragen? Du weißt schon was …“
„Weißt du was“, sagte Onkel Lajos lächelnd, „frag sie. Nur erledigt es bitte drinnen.“
Tante Judit verschwand.
„Wir haben nicht viel Zeit“, flüsterte Onkel Lajos. „Deine Tante Judit hat Hummeln im Hintern. Versuchen wir die Einzelteile schnell zu einem Ganzen zusammenzufügen, noch bevor sie auch dich ins Zimmer zerrt, damit du den Pullover anprobierst. Wir haben also eine Stadt. Diese hat eine gespaltene Seele. Es gab eine Großmacht, die deutsche, die diese Stadt behalten wollte. Es gab eine andere Großmacht, die die Stadt jetzt in der Hand hielt und die sich für die Donau interessierte. Worauf kann man aus alldem
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