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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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in der Ede-Paulay-Straße, nachdem sie Emma ins Bad gescheucht hatte, damit diese sich mit heißem Wasser abduschte, die Haare föhnte und die trockenen Sachen anzog, die Emőke ihr gleich bringen würde. Als sie ihr die Kleidung brachte, flehte Emma sie an:
    „Emőke, schick ihn irgendwie weg!“
    „Ist er doch nicht unter den fünf?“
    „Ich weiß nicht, irgendwie ist er nicht so …“
    „Du hast mich zu ihm geschickt!“
    „Aber ich kann neben ihm einfach nicht den Mund aufmachen.“
    „So einen wolltest du doch, Schwesterherz. Genau so einen.“
    „Aber er ist doch nicht …“
    „Mach nicht den gleichen Mist wie deine Mutter.“
    „Schimpf nicht über meine Mutter.“
    Emőke Széles kam also auf die verzweigte, lehrreiche Geschichte des Fußgeruchs zu sprechen, als sie versuchte, den jungen namenlosen Psychiater loszuwerden. Ursprünglich hatte sie wohl Ekel in ihm erwecken wollen, dieser Plan ging jedoch nicht auf, denn ihn amüsierte die Geschichte nur. Er war ein gesunder junger Mann, der seine Vorzüge und auch seine Grenzen kannte, genauer gesagt lernte er seine Grenzen gerade kennen, das heißt, er fand sich damit ab, dass niemals ein echter Wissenschaftler aus ihm werden würde. Und ein Frontsänger würde aus ihm auch nicht werden, denn er hatte kurz zuvor, in einer herumziehenden deutschen Punkband, einen echten Frontsänger gesehen, der sich mitten im Song rücklings ins Publikum warf, ohne darüber nachzudenken, nach welchen Kriterien das Publikum eines Rockkonzerts im Ostblock zusammengestellt war, er hatte es also auf die Gefahr hin getan, dass die mit marxistisch-leninistischen Lehren aufgewachsenen Jugendlichen ihn nicht fangen würden. Sie fingen ihn, denn das Publikum war nach keinen Kriterien zusammengestellt gewesen, und sie hätten ihn allein schon aus Reflex gefangen. Das hatte dieser deutsche, echte Frontsänger jedoch nicht wissen können, ohne es auszuprobieren. Er ging das Risiko ein. Der junge namenlose Psychiater ahnte bereits, dass aus ihm ein mittelmäßiger Mensch werden würde, der ein hohes Alter erreichen und als Vorgesetzter von Leuten, die über mehr Talent verfügten als er, hohe Posten bekleiden würde. Es war also kein Wunder, dass es Emőke Széles nicht gelang, ihn wegzuschicken, denn auch später war er niemals wegzubekommen, wenn er es nicht wollte. Von niemandem, nirgends. Er konnte alle davon überzeugen, dass er der richtige Mann war, der über die erforderliche Ruhe verfügte, und aus diesem Grund wollte ihn eigentlich auch nie jemand wegschicken, denn der richtige Mann ist stets der, der die anderen davon überzeugen kann, dass er über die erforderliche Ruhe verfügt. (Es kostet mich nicht wenig Kraft, dem jungen namenlosen Psychiater gegenüber fair zu bleiben, dessen Namen ich, trotz aller Fairness, nicht gerne niederschreiben würde.)
    Nun setzte Emőke Széles ihre letzten Hoffnungen in Kornél. Seine Ankunft würde die Kräfteverhältnisse in der Küche umstrukturieren. Sie wusste, dass Kornél Musiker hasste. Vor allem die von der selbstheilenden Sorte, die nicht einmal Gitarre spielen konnten.
    Kornél war ebenfalls klatschnass und, wie immer, voller Geheimnisse, was man ihm jetzt jedoch nicht ansah, denn sogar das Vorhandensein der Geheimnisse war ein Geheimnis. Er wollte nicht, dass man ihn fragte: „Nun sag schon, Kornél, was hast du zu verbergen?“ Denn sein Geheimnis war diesmal, dass das Ende der Welt tatsächlich gekommen sei, und das wollte er den anderen nicht erzählen, sollten wenigstens sie noch einen schönen Abend haben, falls sie noch nichts davon gehört hatten. Und auch, weil die Nachricht am nächsten Tag doch noch bestritten werden könnte, wobei das, nach Kornéls Informationen, bereits unmöglich war. Am nächsten Tag wurde die Nachricht dann doch bestritten, das änderte aber natürlich nichts an Kornéls Weltuntergangsstimmung an diesem Abend. Also hütete er sorgsam sein Geheimnis.
    Die Nachricht, die er vor den anderen verbarg, war, dass angeblich auch der zweite Block des Atomkraftwerks explodiert sei. Und das bedeutete im Sinne der Schreckensnachrichten des Tages, dass der Prozess von nun an unaufhaltsam war, also auch die beiden weiteren Reaktorblöcke explodieren würden (das Kraftwerk bestand aus vier Blöcken). Infolgedessen würde innerhalb weniger Tage das Trinkwasser in einem Umkreis von tausendfünfhundert Kilometern verseucht sein, weshalb halb Europa entweder verdursten oder vom Wasser eine

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