Liebe Unbekannte (German Edition)
gesetzt zu haben: Offenbar gab es in dieser Stadt keinen Mann, der für sie gut genug gewesen wäre. (Dabei hätte es mindestens vier oder fünf Männer in ihrem Alter geben müssen, die ihr ebenbürtig gewesen wären, das war die Zahl, die sie und Edit Perbáli gemeinsam geschätzt hatten.)
„Brauchst du eine Managerin?“, fragte der junge namenlose Psychiater.
Da ihr nichts einfiel, zuckte Emma mit den Schultern und nickte.
„Wieso, was machst du? Ich meine, außer, dass du eine Muse bist.“
„Versuch doch, es zu erraten“, sagte Emma, machte den Rücken gerade und setzte eine hochmütige Miene auf. Denn sie war wütend auf sich, dass ihr der junge namenlose Psychiater gefiel und sie nicht in der Lage war, in seiner Gegenwart den Mund aufzumachen. Besser gesagt, den Mund bekam sie noch auf, es kam nur nicht das heraus, was sie eigentlich hätte sagen wollen, nämlich dass sie normalerweise nicht zu Rockkonzerten gehe, und diesmal nur wegen ihrer Freundin mitgekommen sei, die Emőke Széles heiße und am anderen Arm des jungen namenlosen Psychiaters laufe, und mit der er sich nun ruhig unterhalten könne.
„Du bist Künstlerin“, entgegnete der junge namenlose Psychiater von oben herab. „Habe ich recht?“
„Wir haben doch gerade gesagt, dass ich Muse bin“, wollte Emma sagen, „hast du nicht zugehört? Mit sechzehn habe ich ein Gedicht geschrieben, da war die halbe Welt drin, im Ernst, es war, als hätte man es mir diktiert. Doch dann hat sich herausgestellt, dass ich doch keine Berufung habe, kein Genie bin, nicht einmal ein Talent, ich bin nichts, nur eine Studentin. Aber du bist auch kein Künstler, du bist ebenso ein großer Niemand.“
„Ja“, sagte Emma statt des obigen Monologs.
„Lebenskünstlerin?“
„Haha“, sagte Emma.
Der junge namenlose Psychiater erklärte Emma nun, dass sie die Gesundheit ihrer künftigen Kinder nicht aufs Spiel setze, wenn sie im Regen herumlaufe. Dieser Regen sei nicht so gefährlich. In der Stadt kursierten einfach nur zu viele Schreckensnachrichten. Emma wollte nun keck antworten, um ihre künftigen Kinder solle sich der junge namenlose Psychiater mal keine Sorgen machen, stattdessen sagte sie, er solle den Regenschirm schließen, wenn er sich traue. Er schloss ihn.
„Mensch, seid ihr kindisch“, sagte Emőke Széles und öffnete ihren eigenen Schirm.
„Gut so?“, fragte der junge namenlose Psychiater.
Emma wollte ihn spöttisch fragen, ob er nun glaube, gefährlich zu leben. Sie konnte jedoch keinen Ton herausbringen, was sie geschickt mit einer Schnute kaschierte.
„Du bist hochmütig“, sagte der junge namenlose Psychiater. „Hast eine Meinung über alles und jeden.“
„Und?“, fragte Emma, dabei hatte sie sagen wollen: Ja, ja, ich weiß, jetzt kommt, ich sei eine narzisstische Persönlichkeit.
„Jetzt kannst du es dir noch erlauben.“
„So ist es“, erwiderte Emma, dabei wollte sie fragen, was sie sich erlauben könne. Etwa, narzisstisch zu sein? Und was sollte das „noch“? War das eine Anspielung auf ihr Alter?
„Hast du so wenig Selbstvertrauen?“, setzte der junge namenlose Psychiater den Angriff fort. „Musst du unbedingt das Übermädchen spielen?“
Emma hatte sich schon mit vielen Männern unterhalten und fast immer kamen sie irgendwann auf ihre Persönlichkeit zu sprechen. Dabei waren das keine Psychiater gewesen. (Den einen oder anderen Psychologen gab es unter ihnen.) Länger als zwei Wochen war sie noch nie mit jemandem zusammen gewesen. Sie hatte kein Selbstbewusstsein. Deshalb brachte sie keinen Ton heraus. Jetzt zum Beispiel hätte sie am liebsten gesagt: „Die Typen, die sich so selbstsicher gebärden wie du, landen am Ende meist in einer Sekte.“ Aber sie sagte nichts. Das Übermädchen war ein Volltreffer gewesen. Ihre Zunge war wieder gelähmt.
„Ich will dich ja nicht erschrecken“, fuhr der junge namenlose Psychiater in überlegenem Ton fort, „aber Frauen wie du landen meist irgendwann in einer Sekte.“
Emma wollte ihn daraufhin fragen, wie er sich herausnehmen könne, so etwas zu sagen wie
Frauen wie sie
?
Frauen wie sie
, so eine Kategorie gibt es gar nicht! Menschen gibt es. Hast du so eine abfällige Meinung von Menschen? Nur, weil du es gewohnt bist, dass dir die Frauen zu Füßen liegen und Nietzsche in Originalsprache aus deiner Hosentasche herausguckt, bist du noch lange kein Künstler, da kannst du ins Mikrofon brüllen, so viel du willst. Vor lauter Wut hätte sie das sogar sagen
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