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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Jónás ihn nicht nach Hause geschickt hätte, da er nicht mehr salonfähig war.
    Pali Wampe, den wir nur heimlich so nannten, hieß eigentlich Pali Schaf. Er wohnte in unserer Straße und war, obwohl er die Gestalt eines vierschrötigen Ungetüms und mit zehn Jahren seinen Vater getötet hatte, der sanftmütigste Mensch von ganz Nyék. Er schämte sich nicht für seine Tat und bereute sie auch nicht, da er mit denselben Schürhakenhieben, mit denen er seinen Vater getötet, gleichzeitig das Leben seiner Mutter gerettet hatte, aber er wusste genau, was er getan hatte und gab auf sich acht: Er sprach wenig und sagte nie etwas, das er nicht zuvor schon von jemand anderem gehört hatte.
    Obgleich zunächst natürlich jeder verdächtig war, der für kurze oder lange Zeit im Umkreis der Familie auftauchte, dachten wir nicht, dass sich Onkel Jónás
auf höheres Geheiß
hin mit uns angefreundet hätte, denn für seine Anhänglichkeit gab es gleich mehrere Gründe. Der wichtigste war wohl die Einsamkeit. Er lebte seit Jahren allein, seine Verwandten hatte er als junger Mann in Siebenbürgen zurückgelassen, von seiner Frau hatte er sich getrennt, seine beiden Kinder wollten keinen Kontakt zu ihm. Wir hatten es noch nicht geschafft, ihn davon abzubringen, seine Ersparnisse in den Umbau unseres Hauses investieren zu wollen. Mutter und Vater mutmaßten, er hätte im zukünftigen Stockwerk gerne ein Zimmer für sich gehabt, um den Rest seines Lebens dort zu verbringen. Dafür erwies er der Familie häufig Gefallen. Die Plane hatte auch er für uns vom Nyéker Volkseigenen Gut gestohlen, wo er als Agronom arbeitete. Dennoch war es Vater bisher gelungen (abgesehen davon, dass Onkel Jónás einen eigenen Schlüssel für unser Haus bekommen hatte), ihn behutsam fernzuhalten. So wohnte er also in einer anderen Straße Nyéks zur Untermiete. Im Schnitt verbrachte er pro Woche zwei Nachmittage bei uns. Wenn wir unter uns waren, machte Vater mürrische Späße darüber, dass es Onkel Jónás’ eigentliches Ziel sei, Mutter zu heiraten, nachdem er ihn – Vater – mit seinen blöden Sprüchen ins Grab gebracht habe.
    Onkel Jónás und Pali waren beide gute Seelen und hatten den Kleinen aus Rücksicht gar nicht erst in unser Haus gelassen. Dennoch brach Mutter leise in Tränen aus, als sie die Küche betrat und sah, wie sie mit linkischem Grinsen von den Hockern aufstanden und versuchten, die Parfümflaschen zu öffnen.
    „Das Christkind ist auferstanden“, zog Onkel Jónás die Konklusion aus verschiedenen christlichen Lehren. „Einen gesegneten Abend wünsche ich Ihnen, Irénke. Darf man Sie denn begießen?“
    „Guten Abend, Tante Irénke“, brummte Pali Wampe.
    „Warum lebe ich eigentlich? Warum?!“, schluchzte Mutter und rannte ins Wohnzimmer. Verschüchtert warfen Pali und Onkel Jónás Vater einen fragenden Blick zu: Was war geschehen?
    „Innerfamiliäre Meinungsverschiedenheiten“, sagte Vater beschwichtigend. „Guten Abend, Jónás, frohes Fest. Dir auch, mein lieber Pali.“
    Er reichte den beiden hastig die Hand und überließ sie dann seinen Töchtern.
    „Verzeih mir, Jónás. Ich komme auch gleich, nur …“, sagte er, winkte ab und lief nervös ins Wohnzimmer. Zu Mutter. Indem er auf eine doch eher unhöfliche Art den Raum verließ, signalisierte Vater Onkel Jónás, dass er sich nach dem Begießen verabschieden und Pali gleich mitnehmen solle. Gleichzeitig gab er Erika zu verstehen, sie solle sie irgendwie wegschicken. Gerda verzog den Mund, denn Vater hätte mit Onkel Jónás reden müssen, und jetzt wäre die beste Gelegenheit dafür gewesen. Sie war verärgert, dass Vater sich so davor drücken wollte, Onkel Jónás zur Rechenschaft zu ziehen.
    Erika war die beste Gastgeberin von uns. Sie nahm die Aufgabe gleich auf sich. Zunächst musste das Begießen abgehakt werden.
    „Mich dürfen Sie“, sagte Erika mit einem Lächeln zu den Gästen. „Gerda und ich stinken ohnehin schon wie die Wiedehopfe … Tomi, hol die Gläser. Ich sehe, Onkel Jónás, Sie haben etwas zu trinken mitgebracht.“
    „Ja, und nicht irgendein Gesöff“, sagte Onkel Jónás. „Das ist sechzigprozentiger gemischter Obstler aus Bokros!“
    Während Onkel Jónás zuerst Erika begoss, und dann Gerda, die dabei den Kater umarmte, holte ich die Gläser.
    „Damit ihr nicht vorzeitig verblüht, Mädchen“, sagte er.
    Von Erika bekam er sogar einen Kuss auf die Wange. Gerda hielt ihm auch ihre Wange hin, jedoch knirschte sie dabei laut

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