Liebe Unbekannte (German Edition)
endlich“, fuhr mich Gerda an, während sie den Milch schlürfenden Kater streichelte. „Wenn du dieses Vieh schon angeschleppt hast.“
„Ich?!“
„Na, wir bestimmt nicht“, erwiderte Gerda. „Stimmt’s, Kätzchen, dieser blöde kleine Streber hat dich angenommen?“
Dabei streichelte sie den Kater, und ich fühlte mich vernichtet. Widerwillig stand ich auf, um unsere richtigen Katzen zu füttern.
„Lass ihn doch“, beschützte mich Erika. „Er kann nichts dafür. Du weißt, wie aufdringlich Tante Judit ist.“
„Wart ihr bei der Muhme?“, fragte Onkel Jónás altmodisch.
„Bei der Muhme, ja, klar“, sagte Gerda mit einem Spott, der sich nicht auf Onkel Jónás‘ furchtbar provinzielle Art bezog, sondern nur zeigen sollte, aus welchen unmessbaren geistigen Höhen sie auf Tante Judit hinabblickte. Das wusste Onkel Jónás jedoch nicht, daher hätte er ihr die Bemerkung auch krumm nehmen können. Deshalb ergriff Erika rasch das Wort, um zu verhindern, dass Gerda Onkel Jónás verletzte, wodurch sie sich leider in das Erörtern der innerfamiliären Meinungsverschiedenheiten verwickelte, was sie eigentlich selbst nicht gewollt hatte.
„Ja, wir kommen gerade von dort“, sagte sie hastig, „und Tante Judit und Mutter zerstreiten sich ständig. Übrigens ist Mutter deshalb so außer sich.“
Ich schüttelte missbilligend den Kopf, um Erika zu bedeuten, sie solle aufhören. Aber das war vergebens. Gerda schüttelte nicht einmal mehr den Kopf. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte.
„Tante Judit ist einfach unglaublich“, erklärte Erika begeistert, denn in Wirklichkeit mochte sie Tante Judit und Onkel Lajos, ebenso wie Gerda und ich, aber das konnten wir natürlich nicht zugeben. „Sie hat uns ein Loch in den Bauch geredet. Und Onkel Lajos ist auch nicht besser. Tamás, erzähl nochmal, worüber habt ihr euch auf dem Balkon unterhalten?“
„Na ja“, sagte ich vorsichtig, „über Geschichten von früher.“
„Über das Dach nicht?“
„Nein“, zischte mich Gerda an, um mir zu bedeuten, dass ich das Thema vor Onkel Jónas nicht forcieren sollte. Aus dem gleichen Grund warf sie auch Erika einen warnenden Blick zu.
Gerda war nicht auf dem Balkon gewesen, sie konnte gar nicht wissen, worum es ging. Ich protestierte, dabei wusste ich, weshalb sie mir ins Wort gefallen war. Ich konnte nur dem Impuls nicht widerstehen, sie zurechtzuweisen.
„Woher willst du das wissen? Du warst ja gar nicht auf dem Balkon.“
„Und du, hast du schon einmal das Wort
Diskretion
gehört?“, erwiderte sie, wobei sie hoffte, dass Onkel Jónás es noch nie gehört hatte. Dabei hatte Onkel Jónás das Wort
Diskretion
schon einmal gehört, wer hatte das nicht, nur wusste er wahrscheinlich nicht, was es bedeutet.
„Ja, habe ich“, sagte ich kleinlaut, denn mir war klar, dass Gerda recht hatte. Über das Dach würde Vater mit Onkel Jónás sprechen müssen, nicht wir. Alle verstummten. Onkel Jónás und Pali warteten mit gutmütiger Miene ab, bis wir Krizsán Kinder unseren Streit beendeten. Erika verstand jedoch nicht oder wollte nicht verstehen: Sie quasselte weiter über das Thema
Dach
. Das Wort
Diskretion
hatte sie auf die Idee gebracht, vermehrt Fremdwörter zu benutzen, in der Hoffnung, das würde die Gäste zu einem früheren Abschied bewegen. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Ich weiß nicht, was mit diesem Dach wird“, bemühte sie weiter das heikle Thema. „Das ist unser neuralgischer Punkt“, erklärte sie Onkel Jónás. „Aber Vater wird sich bald darum kümmern.“
„Er weiß, was er will“, sagte Onkel Jónás. „Man soll ihn nicht drängen.“
„Nun ja, nicht gerade drängen …“
Pali wurde von einer Welle der Begeisterung ergriffen.
„Wir machen uns gleich an die Arbeit, Erika. Wir reißen das Dach ab, stimmt’s, Onkel Jónás? Wir reißen es in Nullkommanichts ab. Das ist kein Problem, Erika.“
„Lass mal gut sein, hier wird nichts abgerissen“, erwiderte Onkel Jónás. „Schon deshalb nicht, weil es gar kein Dach gibt.“
„Das ist auch kein Problem, Onkel Jónás. Dann decken wir das Dach eben. Ziehen schnell die Etage hoch, nicht wahr? Ist in einer Woche erledigt. Ich nehme mir in der Fabrik eine Woche Urlaub. Den Kleinen bringe ich auch mit. Wenn Erika uns zwischendurch manchmal ein Bier öffnet …“
Pali zwinkerte Onkel Jónás zu. Das Zwinkern galt einzig und allein dem Gedanken ans Bier. Pali betrachtete Erika nicht mit Männeraugen, denn er hatte
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