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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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großen Respekt vor unserer Familie.
    „Pali, mein Lieber, sei nicht so aufdringlich. Wenn István kommt, wird er uns schon erzählen, was er mit dem Dach vorhat. Man soll ihn nicht drängen, Erika. Das ist wichtig. Jeder hat nostalgische Punkte. Meiner zum Beispiel ist der 10. November. Da hat die Sägemaschine meine beiden Finger abgeschnitten. Weil ich an ihr herumgefummelt habe. Ich wollte, dass sie schneller arbeitet. Siehst du, man muss nichts antreiben.“
    Endlich kam Vater zurück.
    „Irén fühlt sich nicht wohl. Ich soll sie bei euch entschuldigen.“
    „Ja, Erika und ich unterhalten uns auch gerade über euren nostalgischen Punkt“, kam Onkel Jónás gleich aufs Dach zu sprechen.
    „Über unseren was?“
    „Über euren nostalgischen Punkt. Das Dach, na.“
    „Über unseren nostalgischen Punkt“, widerholte Gerda, wobei sie ein Kichern kaum unterdrücken konnte. Die Familie war wegen Onkel Jónás’ Äußerungen schon öfter in Lachanfälle ausgebrochen. Diesmal blieb das jedoch aus.
    Jemand klopfte an die Tür, woraufhin Erika augenblicklich errötete, weil es um die Uhrzeit nur noch Vadda sein konnte, der auch tatsächlich hereinkam. Er war groß und trug eine Lederjacke. In seinen kastanienbraunen, langen Haaren hatte er vorn eine graue Strähne.
    „Grüß Gott, Herr Krizsán, guten Abend, Onkel Jónás, Hallo allerseits.“
    Er gab allen die Hand. Auch mir. Gerda wartete nicht, bis er sie zur Begrüßung auf die Wange küsste, sondern zog mit düsterer Miene zu Mutter ins Wohnzimmer ab. Man hörte, wie sie den Fernseher anschaltete.
    „Herr Krizsán, dürfte Erika mit mir eine Runde Motorrad fahren? Um zehn wäre sie auch wieder da“, fragte Vadda.
    Natürlich war er am Morgen schon zum Begießen dagewesen. Aber er freute sich über jeden Vorwand, Erika an einem Tag gleich zweimal sehen zu können.
    Vadda war der angesagteste Junge von Nyék. Sein Freundeskreis erstreckte sich über Nyék hinaus in die Dörfer der Umgebung. Man zollte ihm großen Respekt. Aber auch in der Hauptstadt kannten ihn viele. Er konnte nicht, sagen wir, die Rákóczi Straße in Budapest entlangspazieren, ohne dass ein vorbeifahrender Kumpel gehupt hätte. Vadda war der Sohn unserer Allgemeinärztin, aber er folgte nicht seiner Mutter auf den Spuren der Wissenschaft, sondern machte lieber eine Ausbildung als Automechaniker. Er liebte Autos, hatte ein eigenes, reparierte auch die der anderen, verdiente gut. Seinen Freunden gegenüber war er nicht knausrig, eher freigiebig. Im Gegensatz zu andern Jungen, die keinen Vater hatten, war ihm das nicht peinlich, ja, er sprach sogar oft von „Vadda“, der ihn und seine Mutter hatte sitzen lassen, als er zwei Jahre alt war. Seiner Mutter zuliebe schimpfte er natürlich oft über ihn, in Wirklichkeit gefiel ihm jedoch diese Lässigkeit, und hätte er sich nicht in Erika verliebt, wäre er vielleicht auch ein Mann von diesem Schlag geworden. Aber er verliebte sich in sie, umgarnte sie, fuhr sie mit dem Auto in der Gegend herum, schaute zu ihr auf und erkannte, dass er für dieses Mädchen zu gering war. Ihr zuliebe nahm er das Studium an der technischen Hochschule, das er ein Jahr zuvor abgebrochen hatte, wieder auf und widmete sich von da an auch ernsthafter dem Motorradrennen. Zwei Jahre später fuhr er gegen einen Baum und starb, was sich Erika nie verzieh, denn sie dachte, sie habe ihn ins Verderben gestürzt, weil sie ihn nicht liebte. Vergebens versuchte Gerda, Vaddas graue Strähne als Vorzeichen eines frühen Todes zu deuten, Erika heiratete trotzdem den Jungen, der nach Vadda ihr erster Freund wurde. Genauer gesagt den zweiten, denn in den ersten hatte sie sich verliebt, und sie bestrafte sich, indem sie diesen nicht heiratete (Gerda tobte vor Wut), sondern den frisch ernannten Leutnant, der sie nach Esztergom mitnahm und sich von ihr von Zeit zu Zeit die Vadda-Geschichte erzählen ließ, um sie dann zu fragen: „Stimmt’s, in Tibor warst du verliebt?“ Und darauf antwortete Erika stets: „Wie bitte? … Wie meinst du das? Ja, natürlich … wieso?“ Dann war der Leutnant wieder für eine Weile beruhigt, dass Erika, wenn sie sich schon nicht hatte in ihn verlieben können, zumindest fähig war zu lieben. Aber das war damals alles noch nicht geschehen.
    Vater legte der Liebe zwischen Erika und Vadda keine Hindernisse in den Weg, er erwartete lediglich, dass gewisse Spielregeln eingehalten wurden, vor allem von Vadda. Erika vertraute er so ziemlich. Als nun Vadda

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