Liebe Unbekannte (German Edition)
deckte ich meinen Bruder damit, der ein außerordentlich schwungvoller Ganove war, aber stolz bin ich nicht, wenn ich an den Schriftsetzer denke … Bleiben wir jedoch bei meinem Meister. Zur Zeit seines Todes konnte man nur auf drei verschiedene Arten sündigen. In Gedanken, Worten oder Taten. Durch Unterlassung konnte man damals noch nicht sündigen, das wurde erst vom Zweiten Vatikanischen Konzil in den sechziger Jahren beschlossen. Ihre Generation hat Glück, Sie können auch schon durch Unterlassung sündigen. In Gedanken verriet ich ihn, weil mir ein großer Stein vom Herzen fiel, als ich von seinem Tod erfuhr. Später wurde ich öfters gefragt: ‚Sag mal, Patai, wie ist es möglich, dass so ein heldenhafter Katholik wie Pater Barta einfach Selbstmord begeht … Das ist doch eine Todsünde, nicht?‘ Daraufhin antwortete ich stets, die Wege des Herrn seien unergründlich. Und obgleich ich mich in ruhigere Gewässer begab, in die der Philosophie, ist mein Lebensweg und mein Lebenswerk eine einzige Schändung des Gedenkens an meinen Meister.
Ich habe seitdem oft darüber nachgedacht, ob es der ursprüngliche Plan gewesen war, ihn gleich dort zu hängen, oder ob sich das nur aus der Situation ergab. Und hier kommen wir wieder auf Ihren Großraubtier-Weltschmerz zu sprechen. Denn dieser stand meinem Meister ebenso ins Gesicht geschrieben wie Ihnen. Er war ebenfalls machtbesessen, dagegen kämpfte er in seinem ganzen Leben, genauso wie Sie es werden, deshalb wurde er auch zu einem berufsmäßig guten Menschen, einem Mönch. Vielleicht konnten die beiden Mörder seinen Gesichtsausdruck einfach nicht ertragen. Er irritierte sie. Sie können auch ruhig davon ausgehen, dass die meisten, mit denen Sie in Ihrem Leben zu tun haben werden, Sie wegen Ihrer Schnauze am liebsten am Fenstergriff erhängen würden.
Um auch etwas Erhebendes zu erzählen: Ich habe später auf meine Art eine romantische Rache an den beiden Kerlen geübt. Einige Jahre später fand ich heraus, wer sie waren, es war nicht einfach, aber ich verstehe mich ja mit jedem ziemlich gut, und hatte durch meine ehemalige Stelle beim Kirchenamt ausgezeichnete Beziehungen, sogar im Innenministerium hatte ich ein paar Spezis. Heute sind sie bereits in Rente, ja, die meisten unter ihnen schmoren sogar schon in der Hölle, damals sah die Sache jedoch noch ganz anders aus. Ich fand also heraus, wer die beiden Schweine waren und legte die Frauen beider flach. Zum Glück waren diese ganz akzeptabel.“
Patai lachte.
„Da fällt mir Ihr verrückter Freund ein. Er macht sich Sorgen um Sie, wissen Sie das?“
„Er ist keineswegs verrückt“, sagte Kornél ernst. „Eher ein Medium. Neben ihm erlöschen die Lampen und bewegen sich die Gegenstände. Er bemerkt es nur nicht. Er ist so unbeholfen, dass er glaubt, egal wo er vorbeikomme, fege er alles mit seinem Mantel hinunter.“
Davon, dass Gábor ein Medium sei, war Kornél seit der Geschichte mit der Steinkugel, die ihnen in der Áron-Gábor-Straße hinterhergerollt war, überzeugt. Wenn Gábor ihn damals nicht zur Seite gestoßen hätte, hätte ihn die Kugel überrollt. Sie liefen die Straße hinunter, und Gábor erklärte gerade lautstark, er halte es nun wirklich nicht mehr ohne eine Frau aus. Eigentlich brüllte er, denn der Wind wehte sehr stark. Er konnte die Kugel nicht gehört haben. Er spürte wohl jedoch etwas und stieß Kornél im letzten Moment zur Seite.
„Dann bräuchte er vielleicht einen ordentlichen Mantel. Kaufen Sie ihm einen. Oder begleiten Sie ihn in ein Konfektionsgeschäft.“
Kornél wusste schon wieder nicht, was Patai noch von ihm wollte.
„Es gibt etwas, das er sich sehr wünscht“, sagte er, die Gelegenheit ergreifend. „Er würde gerne ebenfalls hier in der Bibliothek wohnen. Am liebsten in der südöstlichen Eckkuppel.“
„Glauben Sie wirklich, dass er ein Medium ist?“, fragte Patai nachdenklich. „Der Arme. Er ist eine unsäglich gute Seele, aber Sie tun besser daran, ihn in Ihre haarigeren Angelegenheiten auch in Zukunft nicht einzubeziehen. Am klügsten wäre es jedoch, wenn Sie sich selbst nicht mehr an diesen beteiligen würden.“
Beim letzten Satz warf Patai Kornél einen vielsagenden Blick zu.
„An meinen eigenen Angelegenheiten?“, fragte Kornél verwundert, als verstünde er nicht, was man von ihm wolle.
„So ist es!“, antwortete Patai. „Sie haben richtig gehört. Ich weiß, Sie lassen sich sowieso nicht überzeugen … Aber ich sage Ihnen, hören
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