Liebe Unbekannte (German Edition)
Sie auf, gemeinsame Sache mit diesen Hampelmännern zu machen.“
Patai hatte Angst davor, verrückt zu werden, deshalb wandte er an sich selbst Verhörmethoden an: Er sprang absichtlich von einem Thema zum anderen, um dann, ganz unerwartet, wieder auf ein vorheriges zu sprechen zu kommen.
„In der südöstlichen Eckkuppel“, sagte er, „ist die Buchdesinfektion. Das könnte für die medialen Fähigkeiten Ihres Freundes förderlich sein.“
Unter den Hampelmännern, mit denen Kornél keine gemeinsame Sache machen sollte, verstand er die Mitglieder der sogenannten demokratischen Opposition. Kornél befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner oppositionellen Karriere. Noch im Frühjahr hatte er, unter einem Pseudonym, für ein Samisdat-Blatt mit einigen Patienten des Psychiatrischen Instituts Reportagen gemacht. Seitdem war er häufiger Gast in großen bürgerlichen Wohnungen, wo sich regelmäßig enthusiastische Intellektuelle, Künstler, aufs Abstellgleis gestellte Politiker und natürlich Geheimagenten trafen, und jeder tat, was er zu tun hatte. Manche (die Oppositionellen) gaben zum Beispiel verbotene Bücher heraus, andere berichteten darüber in Spitzelberichten, wieder andere (Staatssicherheitsleute) sorgten dafür, dass die Grenzen zwischen Spitzeln und Bespitzelten verflossen, wobei diese dreckige Arbeit ebenso gut die Zeit für sie hätte erledigen können. In dem Ganzen stand Kornél auf der Seite der Bespitzelten, also auf der guten. (Denn trotz der gemeinsamen Machenschaften von Zeit und Staatssicherheitsleuten blieb eine Aufteilung in eine gute und eine schlechte Seite bestehen, und wird auch bestehen bleiben, so lange, bis die ganze Epoche irgendwann in Vergessenheit geraten wird.) Dass Patai über all das Bescheid wusste, überraschte Kornél nicht. Es war ein offenes Geheimnis, von dem viele wussten.
Bei einer Zusammenkunft dieser Art hatte Kornél zwei Tage zuvor den Osteuropaexperten, Michael J. L. Prescott kennengelernt. Dieser hatte ihn angesprochen, wahrscheinlich wegen seines Weltschmerzblicks.
„Was denkst du, wer ich bin?“, fragte er Kornél fröhlich, der ahnte, dass er es mit einer Art Osteuropaexperten zu tun haben musste, erstens, weil man es ihm ansah, und zweitens, weil man es sich über ihn erzählte, deshalb hatte er auch so spöttisch gegrinst, als er Michael erblickte (was dieser wahrscheinlich als Weltschmerz deutete). In diesen Tagen dachte er gerade, dass es keine gute und schlechte Seite gab, da alle Elemente in diesem Durcheinander voneinander lebten, die Opposition vom System, der zweifelnde Kommunist vom zweifelfreien Kommunisten, die Staatssicherheitsleute vom Staatsgehalt, die Osteuropaexperten von den kommunistischen Systemen, und es war völlig egal, dass er, Kornél Hajnal, über dem Ganzen stand, da er wiederum nicht in der Lage war, Emőke Széles zu einem Gynäkologen zu schicken, damit das ganze erbärmliche Theater endlich ein Ende nahm. Mit anderen Worten, er war endlos verzweifelt.
Kornél bat Michael, die Frage zu wiederholen, da er ein bisschen besser Englisch sprach, als er es verstand, und dieser, ermutigt durch die guten Englischkenntnisse der oppositionellen Intellektuellen, die ihn mühelos verstanden hatten, zu schnell sprach.
„Was denkst du, wer ich bin?“, fragte er etwas langsamer.
„Du bist der Erlöser“, spöttelte Kornél auf Ungarisch, konnte es jedoch nicht übersetzen, da ihm das Wort
Erlöser
nicht einfiel. Deshalb sagte er, „ich finde, du bist ein typischer Osteuropaexperte“, was Michael gefiel.
„Ich wusste, dass du das sagen würdest“, sagte Michael, jede einzelne Silbe betonend. „Das haben schon viele zu mir gesagt.“
„Du siehst aus“, ergänzte Kornél lachend, „wie jemand, der gerade ein Buch mit dem Titel
Hinterm Eisernen Vorhang
schreibt.“
Michael lachte laut über diese Bemerkung, und Kornél sah, dass er es mit einem guten Kerl zu tun hatte. Ironie war Michaels große Schwäche. Er mochte sie sehr. Und hier sprachen alle ironisch. Auch Kornél. Später stellten die beiden fest, dass sie sich auf Polnisch ein bisschen besser verstanden.
Patai setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, beugte sich etwas näher zu Kornél und gab ihm einen väterlichen Rat, womit er über das Ziel hinausschoss.
„Passen Sie mit dieser Bande auf. In diesem Land wird alles von ein paar hundert Menschen in der Hand gehalten und glauben Sie ja nicht, dass das irgendwo auf der Welt anders läuft. Das ist überall die
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