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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Herren bei ihm klopften. Er hatte in der Druckerei ein eigenes kleines Zimmer. Er bat die beiden, ihm in dieses zu folgen. Er wusste, dass sie gekommen waren, um ihn zu holen. Er war darauf vorbereitet gewesen, dass man kommen und ihn holen würde. Er hatte auch ein kleines Bündel, das er schon vor langer Zeit zusammengestellt hatte, um es ins Gefängnis mitzunehmen. Der Arme irrte jedoch, denn die beiden hängten ihn schlicht und einfach dort, in diesem Zimmer. Am Fenstergriff. Außer ihm hielten sich noch ein Schriftsetzer und der Pförtner im Gebäude auf. Der Schriftsetzer klopfte eine halbe Stunde später bei ihm, er war es, der ihn fand. Natürlich lebte er nicht mehr. Dieser Schriftsetzer war gemeinsam mit meinem Bruder in Kriegsgefangenschaft gewesen, ich habe ihm die Stelle in der Druckerei verschafft. Ich studierte bereits Geisteswissenschaften im Fernstudium, hatte eine Frau, genau genommen viele Frauen, und arbeitete, wie gesagt, im Kirchenamt. Ich fälschte sogar ein Rundschreiben des Episkopats, wenn ich ein bisschen angeben darf. Es sah besser aus als das Original. Mit meinem Meister hatte ich jedoch weiterhin Kontakt. Er war einst mein Pfadfinderleiter gewesen, er mochte mich, ich ihn ebenfalls. Er sagte mir eine große Zukunft voraus, wie man so schön sagt. Um all das zu verstehen, muss man wissen, dass der Mensch wie ein Eisberg ist. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen? Sagen Sie es ruhig, wenn ja, ich muss das nicht unbedingt erzählen.“
    Kornél konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
    „Das ist mir noch nicht aufgefallen.“
    „Wunderbar. Der Mensch ist deshalb wie ein Eisberg, weil sich nur ein Zehntel des Eisberges über Wasser, der Rest darunter befindet. Man sieht ihn nicht. Und wenn bereits genug Eis von dem im Wasser befindlichen Teil geschmolzen ist, dreht er sich um, da sein neuer Schwerpunkt es so verlangt. Dieses Phänomen ist beim Menschen ebenfalls zu beobachten: Wenn er in der Tiefe bereits genug geschmolzen ist, dreht er sich um. Unter Umständen steht er völlig auf dem Kopf. Das zu wissen, kann auch für Sie nützlich sein.“
    Kornél nickte. Später musste er oft daran denken, dass der Mensch wie ein Eisberg sei, ein Gedanke, der ihn stets beruhigte.
    „Nun, der Tod meines von mir hoch geschätzten Meisters kam für mich im besten Moment. Von mir war zu dem Zeitpunkt da unten bereits zu viel weggeschmolzen. Damals glaubte ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr an Gott, und das ist zwar etwas, das ich heute nicht mehr mit so großer Überzeugung behaupten würde, aber inzwischen ist es auch egal. Zu jener Zeit war ich jedoch ein frisch gebackener, ja, enthusiastischer Atheist, der allerdings bedauerlicherweise über ein ausgezeichnetes moralisches Fundament verfügte, weswegen ich mich vor meinem Meister gnadenlos schämte. Hinzu kam, dass ich, da ich ein feiger Hund bin, wovon Sie sich soeben haben selbst überzeugen können, bereits seit geraumer Weile Angst hatte. Gelinde gesagt. Ich fürchtete mich unsäglich. Dennoch strebte ich danach, als Philosoph Lorbeeren zu ernten. Vielleicht hätte es für mich einen Weg in den Vatikan gegeben, aber, wie gesagt, ich hatte zumindest noch so viel Anstand, einzusehen, dass wenn ich meinen Glauben schon auf so eine unglückliche Art verloren hatte, es wohl angebracht sei, die Gelegenheit zu nutzen, mit der ganzen heiligen römisch-katholischen Mutterkirche zu brechen. Und dann waren da ja noch die Frauen. In Ungarn war dies zudem der Beginn der besonders finsteren Jahre, wie es die Todesumstände meines Meisters hervorragend illustrieren. Ich will nicht weiter um den heißen Brei reden, es wurde also ein marxistischer Philosoph aus mir, mit anderen Worten, ich beging einen langfristigen Verrat an meinem Meister. Und zusätzlich einen kurzfristigen. Denn der Schriftsetzer, der ihn an der Fensterklinke hängend fand, war ein waghalsiger Kerl, stellen Sie sich vor, er war so verrückt, Anzeige gegen unbekannt zu erstatten, was ihm vier Jahre Gefängnis bescherte. Er durfte sich noch glücklich schätzen, dem Strick entgangen zu sein. Die Pater-Barta-Affäre wurde zu einem Nebenprozess des großen Schauprozesses um József Grősz. Falls Ihnen das etwas sagt. Und diesen Prozess habe ich vorbereitet. Eigenhändig.“
    Kornél nickte. Er gab sich Mühe, eine gleichgültige Miene aufzusetzen.
    „Es ist nicht so, dass ich keine Entschuldigung dafür hätte: Es gehörte zu meinen Pflichten im Staatlichen Kirchenamt, außerdem

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