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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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hervorgeholt, machte zwei Runden und war leer. Zusammen mit den jeweils zwei großen Bieren, die sie beim Aussichtsturm getrunken hatten, reichten diese zwei Schluck aus, dass Ervin Gál noch kindischer, Patai vom Teufel besessen und der arme Onkel Olbach – dem schlechten Ruf seines Zauberobstlers entsprechend – für kurze Zeit zu einem feigen, rückgratlosen Wurm wurde (so empfand er es später selbst). In dieser Verfassung betraten sie den Wald neben dem Aussichtsturm.
    Den Wald kaum betreten, fing Patai an, über die Schulter hinweg von Kobolden zu erzählen. Von Kobolden mit behaarten Fußsohlen, die in ihrer Nähe durch die Bäume strichen.
    „Und zwar hinter uns oder neben uns, Emma. Sie begleiten uns. Du musst nur aufmerksam lauschen, dann kannst du sogar hören, wie ihre behaarten Fußsohlen den Boden berühren. Hörst du es ganz sicher nicht? Sollen wir stehen bleiben?“
    „Nein“, sagte Emma tapfer. Und ihr Großvater bemühte sich zu glauben, sie habe keine Angst. „Ich höre sie gar nicht.“
    „Aber ich höre sie“, flüsterte Patai, wobei er belustigt-besorgt dreinschaute, den Kopf schüttelte und dann doch stehen blieb. „Wie diese behaarten Füße die Erde berühren. Was für ein dumpfer Ton das ist. Ja, das können nur die behaarten Koboldfüße sein.“
    „Wer ist gestorben?“, fragte Ervin Gál, der sie eingeholt hatte. Emma sagte jetzt nicht mehr, es sei Lajos Kossuth. Ihr Großvater spürte an ihrem Händedruck, dass sie Angst hatte. Und er dachte, das sei auch gut so. Ein bisschen Angst schade nicht. Ein Kind, das nicht mindestens einmal in seinem Leben von lustigen Freunden der Familie im dunklen Wald zu Tode erschreckt worden sei, würde nie wirklich lebensfähig sein. Das dachte er tatsächlich. Und vielleicht hätte er auch recht gehabt, wenn der aus Patai mit seinem Periskop hinauslugende Teufel nicht noch Schlimmeres vorgehabt hätte.
    Den Waldpfad bewältigten sie noch ohne Probleme, obgleich sie die ganze Zeit von den Kobolden mit den behaarten Sohlen verfolgt wurden, worüber in regelmäßigen Abständen zu berichten Patai nicht versäumte. Als sie den Wald verließen, blieben die Kobolde jedoch zum Glück zurück. Sie kamen an der Haltestelle Ságváriliget an. Für einen Augenblick hatte es den Anschein, als sei die Sache gelöst, dann stellte sich jedoch heraus, dass sie auf den nächsten Zug eine halbe Stunde würden warten müssen. Diese Haltestelle war am Abend ein unheimlicher Ort. Sie waren die Einzigen, die hier warteten. Der Bahnsteig wurde von nicht mehr als drei Glühbirnen beleuchtet. Man hatte den Eindruck, das Gleis habe deshalb eine so geringe Spurweite, weil die schmalen Schienen aus Angst nah aneinanderrückten. Sie setzten sich auf eine Bank, um sie herum das unruhige Raunen des Waldes im Abendwind, und da erzählte Patai Emma folgende Geschichte:
    „Einmal vor langer, langer Zeit, noch vor König Matthias, lebte in Tschechien, noch genauer in Mähren, ein Klosterbruder. Er sah so ähnlich aus wie ein Pfarrer, nur hatte er oben auf seinem Kopf keine Haare. Schau her, Emma, hier oben.“
    „War er böse?“, fragte Emma.
    „Kein bisschen! Er hätte gar nicht böse sein dürfen. Klosterbrüder sind dazu da, lieb zu sein. Wie Kinder. Also unser Klosterbruder war auch nicht böse, aber um ehrlich zu sein, war er auch nicht besonders lieb. Was glaubst du, wie er hieß?“
    „Vielleicht Prizk?“, fragte Emma.
    „Bravo, Fräulein. Sie haben es erraten. Der Klosterbruder hieß Prizk, nur nicht mit i, sondern mit y. Pryzk. Hast du das Ypsilon gehört?“
    „Ja.“
    „Also, dieser Klosterbruder Pryzk hatte eine Geliebte.“
    „Oha“, sagte Ervin Gál.
    „Ja, das hatte er. Dabei hätte er das überhaupt gar nicht gedurft, denn für Klosterbrüder ist es strengstens verboten, eine Geliebte zu haben. Emma, was glaubst du, wie die Geliebte hieß?“
    „War es ein Mädchen?“
    „Nein, eine Frau.“
    „Griega.“
    „Genau“, sagte Patai. „Woher du das bloß alles weißt? Pryzk und Griega. Eines Tages geriet dieser verfluchte Pryzk in große Schwierigkeiten. Denn Griega hatte nämlich auch einen Ehemann. Und einmal kam dieser Mann nach Hause, und seine Frau war nicht da. Der Mann holte rasch eine Axt und eilte zu Pryzks Haus, denn dieser, das habe ich ganz vergessen zu sagen, war gar kein Klosterbruder mehr, sondern lebte nun als Wilddieb in einer Hütte am Rande der kleinen Stadt. Sein Kopf war auch nicht mehr kahl, sondern mit Haar bedeckt wie bei

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