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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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überbrücken.
    »Das ist kein Ersatz«, sagte sie. »Menschen können nicht ersetzt werden.«
    Alex fiel ein, dass er morgens, wenn er den Kühlschrank aufmachte, regelmäßig Becs Flasche mit Antiparasitikum in einem der Türregale sah, zwischen dem Senf und der Mayonnaise, der Verschluss noch unberührt.
    »Die Menschen lassen sich so manches einfallen, um ihre Lieben unter den Lebenden zu halten«, sagte er vorsichtig. »Kinder. Erinnerungen. Namen.«
    »Machst du das absichtlich?«, sagte Bec.
    »Was?«
    »Dass du da hinfasst.« Sie streckte den Finger aus, und Alex merkte, dass er an der kleinen Narbe kratzte, die ihm von dem Unfall am Kopf geblieben war. Er wurde rot und verneinte.
    »Du und Maria, ihr habt euch ordentlich ins Zeug gelegt, was?«, sagte Bec.
    »Na ja, In vitro ist nicht, wie wenn du zum Zahnarzt gehst.«
    »Warum willst du unbedingt Kinder haben?«
    »Wir sind nicht verpflichtet, Gründe zu haben.«
    »Das stimmt«, sagte Bec. »Ich habe dir versprochen, dass ich meinen Haemoproteus aus der Welt schaffe, und das werde ich halten. Ich fange morgen an. Nur versteh, dass er nichts verhindert. Nicht im medizinischen Sinne. In keinem Sinne.«
    »Gut.«
    »Sei nicht eifersüchtig auf ihn.«
    »Das wäre dumm. Bloß weil er nach deinem Vater benannt ist.«
    »Du bist nicht verpflichtet, Gründe fürs Kinderwollen zu haben, das ist richtig, aber gibt es einen Grund?«
    »Ich möchte, dass wir Teil des Ganzen sind«, sagte Alex.
    »Von welchem Ganzen? Der Gesellschaft?«
    »Der Zeit.«
    45
    Am Morgen, an dem ihre Söhne eintreffen sollten, war Alex’ Mutter Maureen im Garten mit Mauern beschäftigt. Sie wollte eine Rasenbank mit Ziegeleinfassung haben, die sie zum Frühling mit Kamille bepflanzen konnte. Im dünn werdenden Gras kniend, blickte sie prüfend zum Himmel, während sie eilig mit Kelle und Wasserwaage zu Werke ging. Sie hatte zu viel Mörtel angemischt. Die Vorstellung, dass der ungenutzte Mörtel hart wurde und weggeworfen werden musste, war ihr unangenehm. Man konnte ihn nicht bei der Gemeinde zur Wiederverwertung abgeben, wie so vieles. Vergangene Woche war sie durch ganz Brechin geradelt, um eine Stelle zu finden, wo man eine Uhrenbatterie abgeben konnte, und war auf die gleichgültige Höflichkeit gestoßen, mit der man harmlose Alte behandelte. Schließlich schickte sie die Batterie an den chinesischen Hersteller zurück, verbunden mit Vorschlägen, wie man es besser machen konnte. Das Porto hatte fünf Pfund betragen.
    Sie steckte voller Ideen, wie man alles Mögliche besser machen konnte. Die Organisationen, denen sie angehörte, die lokalen Grünen, die Mearns Alliance for Justice in Sri Lanka, Paint Against Poverty und Women for Fairness in Farming, hätten sie gern als Vorsitzende nominiert und zu Konferenzen geschickt. Sie lehnte ab. Sie wollte, dass die Welt ein Meeresgarten ohne Waffen und ohne Grenzen wurde, kreuz und quer durchzogen von Bahngleisen, Radwegen und Segelschiffen, mit Windrädern und Sonnenkollektoren in bescheidener Zahl als Energielieferanten und einem globalen Netzwerk kleiner Gemeinden, die organisch wirtschafteten, Feste feierten und allerlei selbst Hergestelltes austauschten. Doch wenn sie sich vorstellte, wie sich diese Welt der realen Welt aufdrücken ließ, den lebendigen Menschen, die sie kannte, mit allen Schwächen und Vorurteilen, die ihr Leben ausmachten, dann sah sie, dass die Verwirklichung ihrer Utopie genau die Kriege, Grausamkeiten und Leiden mit sich bringen würde, die sie eigentlich beenden sollte. Ihr Leben lang hatte sie sich schuldig gefühlt, dass sie zu essen hatte, während andere hungerten, dass sie studiert hatte, während andere überhaupt keine Schulbildung bekamen, und dass sie sich Reisen gönnte, um ihre Neugier zu befriedigen. Als faktisch atheistische Kirchgängerin mit gaianischen Tendenzen nahm sie sich die menschliche Bosheit, nachzulesen im Guardian , im Observer und im New Internationalist , allwöchentlich reumütiger zu Herzen als eine Kapelle voll katholischer Sünder.
    In letzter Zeit hatte sie den Eindruck gewonnen, dass ihre Schuldgefühle etwas Widersinniges hatten. Sie arbeitete schon lange nicht mehr Teilzeit als Geschichtslehrerin und hatte reichlich Zeit. Warum die Rasenbank nicht selber machen? Aber nahm sie damit einheimischen Maurern vom Fach nicht die Arbeit weg? Wenn sie jemand dafür anstellte, speiste sie damit nicht die kapitalistische Konsummaschinerie, die das Leben auf der Erde zerstörte? Für

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