Liebe und andere Parasiten
etwas, das er zum Lachen fand: wie naiv sie war und gar nicht ahnte, dass sie diese Berühmtheit ihrem Bruder zu verdanken hatte. Nachdem Vals Zeitung die Legende von Bec und Alex in die Welt gesetzt hatte, zogen andere nach.
Ritchie dachte an Selbstmord als Ausweg. Aber Situationen, in denen er zu Schaden kommen konnte, hatte er immer gescheut, Bahnsteigkanten, das bloße Vorhandensein von Rasierklingen im selben Zimmer. Er hatte Angst vor Schmerzen; er fürchtete Verwicklungen, er fürchtete Furcht, er fürchtete das Gefühl, das er haben würde, wenn er sich die Handgelenke aufgeschnitten hatte und zusah, wie das Blut aus den Schnitten ins Badewasser quoll, oder wenn sich die Schlinge um seinen Hals zusammenzog. Er dachte daran, Karin alles zu beichten und sie zu bitten, ihm zu verzeihen, um der Kinder willen und der Erinnerung an ihr gemeinsames Glück, an das Gute, das sie verband. Aber das waren keine Vorsätze. Ritchie erging sich nicht deshalb in Vorstellungen, wie er sich umbringen oder wie er gestehen würde, was er getan hatte, weil er das ernsthaft in Erwägung zog. Es war eine persönliche Kunst, eine Form, seine Absichten in einer edleren Strömung aufzulösen und bei dem, was er in Wirklichkeit tun würde, ein besseres Gewissen zu haben. Aber er wusste nicht, was er tun würde, und die Frist, die Val ihm gesetzt hatte, lief in nur zwei Monaten ab.
Anfang Mai hörte Ritchie, dass Val verrückt geworden war. Zunächst waren es Gerüchte in Pubs und Clubs. Dann gab es Anekdoten im Internet und Gefrotzel in Private Eye . Val habe, hieß es, an alle redaktionellen Mitarbeiter der Zeitung, an den gesamten Verwaltungsrat und an den Eigentümer eine Mail des Inhalts geschickt: »Wann habt ihr Scheißkerle zuletzt zum allmächtigen Gott gebetet?« Einem anderen Gerücht nach hatte er in einer Sitzung den Nachrichtenredakteur angespuckt und gewettert, seine Schergen seien scheinheilige Säcke, die auf Kosten des Blattes hurten, logen und betrogen. Ausgelöst wurde sein Wutausbruch von einer Ausgabe der Zeitung, die auf der einen Seite das lasche Vorgehen der Regierung gegen Sexualstraftäter anprangerte, die sich an Kindern vergingen, und zugleich in einem anderen Artikel auf derselben Seite darüber spekulierte, wie viel Geld eine fünfzehnjährige Tennisspielerin als professionelles Model verdienen würde. Dem Artikel war ein Bild beigefügt, das der Fotograf nur am Boden liegend und zwischen die Beine des Mädchens zielend aufgenommen haben konnte. Es gab Meldungen, Val und die Zeitung hätten sich »in gegenseitigem Einvernehmen« getrennt. Dann versiegten die Meldungen. Ritchie hörte sich diskret um, ohne seine Gier nach genaueren Informationen durchblicken zu lassen, und fand heraus, dass Vals Verhalten die Grenze zur Geisteskrankheit überschritten hatte. Er war eingeliefert worden. Er saß in einer Anstalt.
Nachdem es Ritchie die ganze Zeit gelungen war, Vals körperlichen Angriff auf ihn zu verdrängen, konnte er jetzt gefahrlos darüber nachsinnen. Als Tat eines Verrückten leuchtete er ein, ebenso Vals eigenartiger Einfall, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen. »Mr Oatman kann ziemlich aufbrausend sein«, hatte Val gesagt. Das Gefühl, begnadigt worden zu sein, machte Ritchie ganz schwach und weinerlich. So viele Morgen war er in diesem Albtraum erwacht, und jetzt stellte sich heraus, dass es der Traum eines Kranken gewesen war. Ritchie wusste, dass die Person, die ihn verraten hatte – vielleicht Nicole selbst, vielleicht Louise –, ihn jederzeit wieder verraten konnte. Er vermutete, dass Val anderen gegenüber geplaudert hatte. Doch weil er es sich so sehr wünschte, begann er zu hoffen, dass er nicht entlarvt wurde. Auf einer Party lernte er zufällig den neuen Herausgeber kennen, der einen anständigen Eindruck machte. Bei Journalisten konnte man natürlich nie wissen, aber er war freundlich, normal. Es war, als ob es Val nie gegeben hätte. Ritchie trank weniger und ging mit Bec und Alex in einem netten Restaurant in Clerkenwell essen. Er behielt einen kühlen Kopf, brachte sie zum Lachen, erwähnte den O’Donabháin-Film nicht und stellte sich vor, dass er Bec mit der Zeit einfach durch Freundlichkeit herumkriegen konnte.
Die Staffel von Teen Makeover schloss mit einem großartigen Finale ab; der Gewinner war ein niedlicher vierzehnjähriger Junge, den sie in einen schön geschnittenen Anzug gesteckt hatten, ein kuhäugiger Bursche mit Brötchenarsch, roten Lippen und einer
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