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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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bekommen wir geplante Spontaneität. Running Gag im Abspann. Brüllendes Gelächter.«
    »Geplante Spontaneität«, wiederholte Midge. Er lächelte. »Witzig.«
    Ritchie wandte sich an den Beleuchter.
    »Such dir was Harmloses zum Runterwerfen aus«, sagte er. »Wir wollen ihn nicht verletzen.«
    Der Beleuchter stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, mit vorgeschobenem Unterkiefer den Blick auf den Boden gerichtet. Er schaute zu Ritchie auf. Seine Stimme zitterte. »Ich mach das schon mein Leben lang«, sagte er. »Ich arbeite ordentlich und bin stolz drauf. Willst du meine Personalakte sehen? Nur ein Unfall in fünfundvierzig Jahren.«
    »Ach, komm, Jeff«, sagte Ritchie. »Das ist leichte Unterhaltung. Es geht nicht um Leben und Tod.«
    »Ich hab das Licht für die richtigen Entertainer gemacht«, sagte der Beleuchter. »Die Profis. Heute, pah, Kinderkram, Amateurzeug und wer den größten Bockmist baut, das wollen die Leute sehen.« Er ging schimpfend davon.
    »Bleib noch und hör dir die Band an«, sagte Ritchie zu Midge. Er forderte die Jungs auf der Bühne auf zu spielen, und sie schauten ihn durch ihre Fransen an. Sie schwangen ihre tief hängenden Gitarren zu der kleinen Gruppe herum, die vor den leeren Sitzreihen stand. Es gab eine schrille Rückkopplung, der Sänger zählte bis drei, und los ging’s.
    Der Bassist schlug einen drohenden Ton an. Der Gitarrist legte einen schnarrenden Akkord darüber, hielt ihn, hackte ihn ab und wiederholte ihn. Nach wenigen Takten drosch der Drummer kurz auf die Tomtoms und schlug dann auf Bass- und Snare-Drum einen stur durchgehaltenen Rhythmus. Die Monotonie, die zunehmende Lautstärke und das sich gegenseitig verstärkende Hämmern der Instrumente machten die Zuhörer förmlich nieder, sodass sie die Lösung der Spannung herbeisehnten und ihr mit klopfendem Herzen entgegenfieberten. Der Sänger griff sich das Mikrofon, packte fest zu, beugte sich vor, öffnete den Mund und schloss die Augen.
    Ritchies Nackenhaare stellten sich auf, als die Stimme des Sängers das Studio füllte. Woher nahm ein Vierzehnjähriger das Selbstvertrauen, diese lang gezogenen Töne zu halten? Woher nahm er die Kraft? Wie kam ein junger Bursche in England zu diesem Schmerz in der Stimme und dann zu dem Mut, eine Band auf die Beine zu stellen?
    Als Gitarre, Bass und Stimme plötzlich nach oben gingen, riss der Akkordwechsel ihn förmlich in die Höhe.
    »Die sind gut«, sagte Midge Ritchie ins Ohr.
    »Saugut«, sagte Ritchie. »Aber das kriege ich hin.«
    Heftig applaudierend, bestieg er die Bühne und stellte sich zwischen die Jungs. Er war einen guten Kopf größer als der Größte von ihnen. Sie waren noch nicht ganz ausgewachsen, vermutete er, aber abgesehen davon wirkten sie unterernährt, überproportional groß die Ellbogengelenke an ihren spindeldürren weißen Armen. Hier und da sah er einen Gesichtszug zwischen den Fransen: eine ausgeprägte Adlernase, breite rote Lippen, dunkle Augen. Er fragte sie nach ihren Namen, und sie antworteten der Reihe nach. Dabei stießen sie kurze, zischende Lachlaute aus, und als der Drummer seinen Namen nannte, krümmten sie sich vor Lachen.
    Ritchie deutete auf das Fender-Imitat des Gitarristen und streckte die Hände aus. »Darf ich mal?«, sagte er. Der Gitarrist nahm den Gurt von der Schulter, reichte Ritchie das Instrument, und der spielte mit Daumen und Zeigefinger einen Lazygods-Riff. Am Schluss schloss er die Augen, lehnte sich zurück und ließ den Mittelfinger auf dem Bund tremolieren. Er öffnete die Augen, nickte und forderte mit einem Blick den Drummer auf, dazuzukommen. Der Drummer starrte ihn an und rührte sich nicht.
    »Das war wahrscheinlich vor eurer Zeit«, sagte Ritchie und gab die Gitarre zurück. »Wie viel Stunden am Tag probt ihr?«
    Der Gitarrist sah den Sänger an. Sie zuckten die Achseln und sagten gleichzeitig: »Keine Ahnung.«
    Ritchie verschränkte die Arme und blickte von einem Gesicht zum andern. »Als ihr euch hier beworben habt, was habt ihr da gewollt?«, fragte er.
    Das Wort »gewinnen« ging murmelnd von Mund zu Mund.
    »Das ist ein raues Gewerbe«, sagte Ritchie. »Wo ihr jetzt seid, war ich auch mal. Und ich sage euch, dass ihr Talent habt.« Er wartete und fuhr fort: »Damit haben wir ein Problem. Was unser Publikum will, ist eine Geschichte über Kids, die kein Talent haben, die nette Klamotten und ein bisschen Anleitung von Profis kriegen und dann in dem, was sie machen, von schlecht zu halbwegs okay

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