Liebe und andere Parasiten
von dem vergifteten Silberteil an ihrem Ohr gerufen wurden. Nur Ritchie konnte sie vor diesen grausamen Mächten retten. Sein Nasenrücken kribbelte vor Kummer und Zuneigung, als er ins Auto stieg.
»Bist du denn gar nicht müde?«, sagte er. Er fuhr los, das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt, wenn er schaltete.
»Nein.«
Es war nicht Ritchies Stärke, Krisen vorherzusehen, sondern sie zu bewältigen, wenn sie kamen. Er konnte Ruby dazu kriegen, das Fenster aufzumachen und das Telefon hinauszuwerfen; was aber, wenn sie hinausfiel? Er konnte sie auffordern, etwas Schweres zu nehmen und das Telefon in Stücke zu schlagen. Aber hatte Ruby etwas Schweres in ihrem Zimmer, und wenn, konnte sie es heben? Er konnte ihr beschreiben, wie sie die SIM -Karte herausnahm, aber wahrscheinlich würden ihre weichen kleinen Finger an der sperrigen Abdeckung über dem Akku scheitern, sie würde verzweifeln, würde weinen, und Karin würde es mitkriegen.
»Ruby, du weißt doch, dass du Daddys absolutes Lieblingsmädchen bist, nicht wahr?«, sagte er. »Ich möchte jetzt, dass du ganz doll tapfer und schlau bist und tust, was Daddy dir sagt. Willst du das für mich tun?«
»Okay.«
»Das Telefon, das du gefunden hast, ist nämlich wirklich sehr wichtig und besonders und geheim. Und wenn du ganz doll tapfer und schlau bist, bekommst du von mir, was du dir wünschst. Was wünschst du dir am allermeisten auf der Welt?«
»Ich will ins Fernsehen.«
»Ich kann dafür sorgen, dass du ins Fernsehen kommst, Schätzchen, na klar kann ich das. Und wenn du das willst, musst du nichts weiter tun, als das Telefon schlafen legen und unter deinem Kopfkissen verstecken, und am Morgen wird es verschwunden sein. Und – das ist sehr wichtig, das Wichtigste überhaupt, Schätzchen – du musst es geheim halten und darfst niemand erzählen, dass du das Telefon gefunden hast, nicht einmal Mummy oder Dan und auch niemand in der Schule oder der Oma oder Tante Bec oder sonst jemand. Verstehst du?«
»Ja.«
»Also leg jetzt das Telefon schlafen, Schätzchen, und versteck es unter deinem Kissen, und dann schläfst du ein.«
»Ich will eine Geschichte haben.«
Auf der Schnellstraße zur M25 erzählte Ritchie Ruby die Geschichte vom Löwen und der Maus: wie der Löwe die Maus nicht auffraß, als er von ihr geweckt wurde, und wie später die Maus den Löwen rettete, indem sie das Netz eines Jägers zernagte. Als er fertig war, fragte er Ruby leise, ob sie noch wach sei. Er fragte dreimal, jedes Mal leiser, und als er keine Antwort bekam, legte er auf und fuhr schneller.
Auf der Auffahrt zum Haus sah er, dass im Studio abseits des Haupthauses in einem alten Stallgebäude die Lichter brannten. Er parkte den Wagen dicht vorm Haus, trabte zum Haupteingang und ging zu Milena ins Zimmer, das am selben Flur lag wie die von Ruby und Dan. Milena saß im Trainingsanzug auf dem Sofa, die Knie angezogen, trank Tee und sah fern.
»Karin ist im Studio«, sagte sie. »Sie hat dich nicht zurückerwartet.«
Ritchie grinste. »Mir war nicht danach, über Nacht zu bleiben«, sagte er. »Sind die Kinder im Bett?«
»Ach, schon längst. Sie schlafen.«
»Wie ging’s mit ihnen?«
»Gut. Dan wollte seine Nudeln nicht essen. Er meinte, Makkaroni schmecken ihm nicht wegen der Form, die sie haben.«
»Ich schau noch mal nach ihnen.«
Ritchie machte Milenas Tür hinter sich zu – sie war offen gewesen – und ging in Rubys Zimmer. Ein mattes gelbes Nachtlicht brannte. Milena hatte alles vom Fußboden aufgelesen, Puppen, Bücher und Kostüme, und es zusammen in eine Kiste vor der Kommode gepackt. Unter dem Fenster war das Puppenhaus vorne aufgeklappt und einige der winzigen Möbel, die es enthielt, waren wild durcheinander auf Dans altem Tonka-Kipplaster gestapelt. Ruby hatte sich die Decke bis zur Taille heruntergeschoben. Ihr Mund war leicht geöffnet. Ritchie hörte sie atmen. Die Pinguine auf ihrem Schlafanzug schienen ihn herausfordernd anzustarren. Das Telefon war auf den Boden gefallen. Ritchie ging hin und hob es auf. Eine Diele knarrte vernehmlich unter seinem Fuß. Er hörte Karins Stimme. Sie sprach mit Milena. Er griff sich das Telefon, steckte es ein, beugte sich vor, strich seiner Tochter über den Kopf und küsste sie. Die Tür öffnete sich und Karin flüsterte ihm etwas zu.
Karin war misstrauisch, aber froh, ihn zu sehen. Sie legten sich zu Bett und schliefen miteinander. Der Gedanke, dass er Nicole betrog, indem er seine Frau liebte, gab
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