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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Fingerspitzen ihrer linken Hand und schaute ihn an, als bewunderte sie das kostbare Stück, bevor sie es zurückgab. Er musste sie drängen, ihn sich an den Finger zu stecken, und sie tat es. Es war ein grauenhaftes Gefühl, als der goldene Reif über die Haut ihres Knöchels glitt. Val teilte ihr liebevoll mit, es sei der Verlobungsring seiner verstorbenen Frau gewesen.
    Sie blieben die Nacht über nicht zusammen. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag. Als Bec in ihre Wohnung in Kentish Town kam, zog sie den Ring vom Finger, legte ihn in ein Kuvert und verstaute es nach langem Hin-und-her-Überlegen, welcher Platz wohl der sicherste wäre, im Gefrierfach ihres Kühlschranks. Sie erzählte niemandem von der Verlobung. Sie fühlte sich nicht glücklich, nur innerlich aufgepeitscht, wie nach einem Unfall.
    Der seiner Frau nachtrauernde Val hatte Bec um Zuwendung gebeten, und die hatte sie ihm gegeben. Er hatte sie gebeten, mit ihm zu schlafen, und sie hatte es getan. Das hatte ihn offenbar auf den Gedanken gebracht, sie sei in ihn verliebt. Ich habe nichts dergleichen gesagt, dachte sie. Ich habe getan, worum er mich gebeten hat.
    Sie fand, Wissenschaftler müssten ein gutes Zahlengedächtnis haben und sich zum Beispiel merken können, wie viele Male sie mit jemandem geschlafen hatten, trotzdem war sie mit dem Zählen durcheinandergekommen wie ein kleines Kind. Nach drei waren alle Zahlen »viele«. Solange sie die Zahl wusste, hatte sie Val auf Abstand halten können; sie hatte sie vergessen, und jetzt war der Mann, mit dem sie ein paarmal geschlafen hatte, ihr Verlobter.
    Bec hatte in einer Reihe von Aufsätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften eine neue Art der Malaria-Bekämpfung propagiert. Ihre Kollegen erklärten die Methode für unsicher. Einer nannte sie »barock«. Die Spielart davon, die sie in Tansania austesten durfte, war gegenüber ihrem ursprünglichen Vorhaben deutlich abgeschwächt. Als Val meinte, er wolle sie in ihrer Zeit dort besuchen, hatte sie das Ansinnen unkommentiert gelassen, und es wurde nichts entschieden. Aber als er ein paar Tage später darauf zurückkam, musste sie »Ja, natürlich« sagen. Sie wollte nicht, dass er runterflog, aber sie hatte nicht den Mut, es ihm zu sagen. Sie waren für den Sonntag vor ihrer Abreise in London verabredet, und es war nicht nötig, dass Bec Überstunden einlegte, doch als Val anrief, um Zeit und Ort auszumachen, sehnte sie sich plötzlich nach Hühnerblut und Mikroskopen und dem klinischen Alkoholgeruch im Labor. Sie lechzte danach, bis zum Umfallen zu arbeiten. Der Gedanke bereitete ihr Magenflattern.
    »Ich kann dich nicht sehen«, erklärte sie Val. »Wir haben nicht genug Haemoproteus gemacht.«
    »Ich weiß, was das ist«, sagte Val. Er könne sie Montag treffen, meinte er.
    »Da esse ich mit Ritchie und meiner Mutter zu Abend.«
    »Ich könnte dazukommen.«
    »Es wird ein Familiengespräch.«
    »Ich werde demnächst zu eurer Familie gehören.«
    »Über den Mann, der Dad getötet hat.«
    »Was sagt deine Mutter dazu, dass wir heiraten wollen?«
    »Ich habe es noch niemandem erzählt.«
    Sie hörte Val Luft holen. Er sagte: »Dann eben Dienstagabend. Bevor du fliegst.«
    »Mir wird wohler sein, wenn ich erst mal ein paar Milliarden Parasiten gezüchtet habe.«
    »Du arbeitest zu viel«, sagte Val, und als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: »Solange es nur das ist. Ich rufe dich an. Auf dem Festnetz in der Arbeit.«
    Bec hatte nicht das Gefühl, mit Männern Pech gehabt zu haben. Sie war dreiunddreißig; ihr Herz war einmal gehörig gebrochen worden, und die Bruchstelle, obwohl längst gekittet, würde immer zu sehen sein, aber es war die einzige. Es war in ihren Zwanzigern gewesen. Sie hatte in Sacramento drei Jahre lang mit Joel zusammengelebt, während sie ihren Doktor machte. Er ging mit, als sie eine Stelle in London antrat, sah sich um, kam nicht zurecht und kehrte in die Staaten zurück.
    In dem Jahr nach der Trennung war ihr zumute, als hätte sie sich gegen ihren Willen in einen Kummerkübel verwandelt. Eine kalte, ätzende Brühe schwappte in ihr herum und brannte, wenn sie zum Licht zu streben versuchte.
    Das war ihr erstes Jahr im Centre for Parasite Control. Sie war ein Zombie, konnte mechanisch agieren und kommunizieren, aber ihre Sinne zu nicht viel mehr gebrauchen, als zu zählen, zu messen und Daten einzugeben. Und genau das wurde im Centre von ihr erwartet. Als nach zwölf Monaten Farbe und Wärme wiederkehrten,

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