Liebe und andere Parasiten
ging den Fahrer suchen. Im Schein der Petroleumlampen, der durch die Fenster fiel, folgte sie dem ausgetretenen Weg zwischen den Häusern. Über dem Lärmen der Frösche und Insekten lag abendliches Stimmengemurmel, und durch die Haustüren drangen Rufe, Lachen, Klagen, Töpfeklappern, Radiomusik. Sie erspähte den weißen Umriss des großen Autos und den Fahrer, der am Vorderreifen in der Hocke saß und sich mit zwei einheimischen Männern unterhielt, die im Schneidersitz neben ihm saßen. Eine Hand fasste ihre. Es war Batini.
»Wir müssen uns reinigen«, sagte sie.
»Ich muss fahren«, sagte Bec. »Kommst du mit, oder bleibst du länger?«
»Wir müssen uns reinigen«, sagte Batini und zog dabei sacht an Becs Hand.
»Jetzt?«
»Nach einem Begräbnis sind wir unrein.«
Batini führte Bec auf einem Pfad unter den Bäumen und zwischen hohen Gräsern in ein Röhricht, das höher war als sie beide. Der Boden gab unter den Füßen nach, Schlamm quoll zwischen den Zehen auf, und das Wasser stieg über die Knöchel. Sie gelangten durch das Röhricht in ein Flussbecken, das vom gelbroten Halbmond beschienen wurde. Sie zogen sich aus und legten ihre Sachen vorsichtig auf den Schilfhalmen ab. Bec stieß sich ins Wasser ab und schwamm, die Füße über den schlammigen Boden streifend, bis sie die Mitte des Beckens erreichte. Batini stand hüfthoch im Wasser und besprengte sich Bauch und Brüste. Sie watete ans Ufer zurück und zerteilte hinter sich das Mondlicht auf dem Wasser. Bec folgte ihr zu einem umgestürzten Baumstamm dicht am Rand des Beckens. Nackt und triefend saßen sie nebeneinander. Das Holz war vom Sitzen ganz glatt gescheuert.
»Du bist so weiß«, sagte Batini, als sie auf Becs Schenkel neben ihren blickte.
»Es tut mir so leid um deinen Sohn.«
»Sie haben keinen Verstand«, sagte Batini. »Du hast ihnen gesagt, der Impfstoff würde sie nur halb schützen. Du hast ihnen gesagt, sie sollten Netze benutzen. Es ist nicht deine Schuld.«
Es war Bec noch gar nicht in den Sinn gekommen, jemand könnte meinen, sie wäre schuld. Sie fühlte, wie ihr Herz einen Sprung vom Rand des Abgrunds tat, hinaus in die Dunkelheit.
»Vielleicht ist es doch meine Schuld«, sagte sie. »Was nützt ein Impfstoff, der nur halb wirkt?«
Sie lauschte den Fröschen. Es waren so viele, die reinste Blaskapelle: Hunderte von schrillen Piepern wie Pikkolo- und Blockflöten, Scharen von Tenorfröschen wie Klarinetten und Trompeten und eine Handvoll von Fagotten und Tuben. Diese Frösche müssen ja riesig sein, dachte sie. Gorillagroß.
Batini sagte: »Wo sind deine Kinder?«
»Ich habe keine Kinder«, sagte Bec. Das weißt du doch, dachte sie.
»Wo ist dein Mann?«
»Ich habe keinen, wie du weißt.«
»Warum nicht? Du bist schön und gesund und gebildet.«
»Muss ich Kinder haben?«, fragte Bec.
»Natürlich«, sagte Batini.
»Sagst du mir noch mal, warum?«
»Es macht Freude.« Batini senkte den Blick und bewegte auf ihrem Schoß die Finger hin und her, als spielte sie mit den Falten eines imaginären Rockes.
»Wirst du wieder heiraten?«, sagte Bec.
»Ja«, sagte Batini, »nächsten Monat.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Ich werde den Bruder meines zweiten Mannes heiraten.«
Später verließ Bec das Dorf und brach mit dem Fahrer nach Daressalam auf. Unterwegs gerieten sie in einen Wolkenbruch, und es wurde unmöglich, durch die Windschutzscheibe noch etwas zu erkennen. Der Fahrer hielt am Straßenrand. Das Auto schien unter der Wucht des Wassers zu schaukeln. Im Licht der Blitze, die durch die Dunkelheit und die Sintflut schnitten, sah man das Wasser sich wie aus Kübeln durch die Äste der Bäume und die wogenden Wedel eines Maniokfeldes ergießen. Ein Donnerschlag krachte am Himmel, Becs Telefon zirpte, und das Display verströmte ein freundliches gelbes Licht. Ritchie fragte sie per SMS , wann sie nach Hause komme. Bec rief ihn an, und als er abnahm, als sie das Telefon ans Ohr drückte und sich den Finger ins andere steckte, war er deutlich und nahe.
»Was dröhnt da so? Stehst du neben einem Flugzeug?«, sagte Ritchie.
»Es regnet«, sagte Bec. »Ich bin auf dem Weg zum Flughafen. Kannst du mich hören? Ich werde morgen Nachmittag in London sein. Hallo?«
»Ich bin da.«
»Ich dachte, wir wären getrennt worden. Es war so lange still.«
»Ich habe nachgedacht.«
»Der Impfstoff wirkt nicht. Meine Kollegen halten mich für eine Sklaventreiberin, und ich glaube, ich sollte hierbleiben … Hallo? Ich
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