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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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zu tragen war, wenn sie ihr Augenlicht riskierte; doch die Vorstellung, es zu verlieren, war schrecklich. Die letzte Meldung aus Papua-Neuguinea war, dass der Übergang von temporärer zu bleibender Blindheit plötzlich sein konnte. Es gab Tage, an denen sie daran dachte, ihren Körper von den Parasiten zu befreien, doch sie schritt nie zur Tat. Schließlich tragen sie Dads Namen, dachte sie. Wie könnte ich die Einzigen in der Familie umbringen?
    Um drei Uhr nachmittags konnte sie wieder sehen und nahm die U-Bahn vom Flughafen nach Hause. Als sie am Leicester Square umstieg, merkte sie, dass ein in ihren Knochen zitternder wild gewordener Kompass auf den Bahnsteig Richtung Süden statt Richtung Norden zeigte, und so fuhr sie zum Centre of Parasite Control.
    Sie hatte kaum das Licht in ihrem Büro angeschaltet, da knallte schon Mosi, der Ugander, der H. gregis Gene sequenzierte, die Türklinke herunter, trat ein und brüllte in einem Freudencrescendo ihren Namen. Bec umarmte den breit grinsenden Mann stürmisch, doch als sie zurücktrat und ihn in der frischen Willkommensstimmung ansah, wirkte er unsicher. Er fragte sie, ob Maddie wisse, dass sie wieder da war, und Bec sagte, sie wisse es nicht. Mosi fragte, warum sie ihren Heimflug mehrmals verschoben habe.
    Von Mosi benachrichtigt, kam die Direktorin zu Bec ins Büro, schloss die Tür, küsste sie und fragte, ob sie sich setzen dürfe. Ihr hageres altes Gesicht hatte eindrucksvoll klare Schatten unter den Wangenknochen und Augenbrauen, und ihr silbernes Haar war streichholzkurz geschnitten. Die bunten Glaskugeln, die Hals und Ohren schmückten, sahen aus, als hätte eine Untergebene sie ihr angehängt, um sie zu besänftigen.
    »Hat man Sie doch noch ins Flugzeug gesetzt«, sagte sie.
    »Ich hatte immer vor, zu Weihnachten nach Hause zu kommen«, sagte Bec.
    »Um Freunde und Verwandte zu besuchen. Sie werden nach Spanien zu Ihrer Mutter fliegen.«
    »Ja.«
    »Ihr Bruder und seine Familie werden dort sein.«
    »Ja, so ist es.«
    »Freunde sehen, ausgehen, Partys, tanzen, Neuigkeiten austauschen. Spaß haben. Sie haben in Afrika hart gearbeitet, viel Stress hat sich aufgebaut, und jetzt haben Sie sich drei – sind es drei? – Wochen der Ruhe und Entspannung verdient.«
    Bec leckte sich die Lippen und nickte. »Vielleicht zwei«, sagte sie.
    »Und stattdessen sind Sie hier im Büro.« Maddie nahm die oberste Zeitschrift von dem Haufen vor Bec. »Und lesen etwas über … Toxoplasma. Oh! Die Nummer zum hundertjährigen Jubiläum!« Sie warf das Heft über die Schulter und deutete mit dem Kopf auf Becs Gepäck. »Sind Sie überhaupt schon zu Hause gewesen?«
    Bec schüttelte den Kopf.
    »Wann haben Sie sich das letzte Mal die Haare gewaschen, wenn ich fragen darf? Sie sehen aus, als wären sie durch den Regen gelaufen.«
    Bec strich sich durch die Haare, blieb an einem verfilzten Knoten hängen und wühlte in ihrer Handtasche nach einer Bürste. »Ich bin gestern vor dem Flug schwimmen gegangen«, sagte sie. »Nach einer Beerdigung.«
    Maddie setzte sich auf ihre Hände, schaukelte vor und zurück und betrachtete den Fußboden.
    »Wer ist gestorben?«, sagte sie.
    »Der kleine Sohn meiner Haushälterin.« Becs Gesicht war beim Bürsten hinter einem dichten Haarvorhang verschwunden.
    »Woran ist er gestorben?«
    »Malaria.«
    »Wie alt?«
    »Drei.«
    »Geimpft?«
    »Ja.«
    »Und jetzt glauben Sie, dass Ihre Arbeit gescheitert ist. Sie glauben, dass fünfzig Prozent Schutz vor Malaria ein ziemlich schlechter Ertrag ist für die Mengen von Geld und Zeit, die wir dafür ausgegeben haben, aus Ihrem Parasiten etwas Brauchbares zu machen.«
    Bec warf ihre Haare zurück, hörte auf zu bürsten und sah Maddie an.
    »Vielleicht glauben Sie, dass Sie die ganze Zeit recht hatten und dass wir Kinder mit lebendem Haemoproteus infizieren sollten. Aber das konnten wir uns nicht erlauben, nicht wahr? Wie geht’s Ihren Augen?«
    »Gut, danke.«
    »Wann war Ihr letzter Anfall?«
    »Es sind keine Anfälle«, sagte Bec. »Ich habe heute Nachmittag ein paar Minuten lang ein bisschen verschwommen gesehen.«
    »Vielleicht sind Sie der Ansicht, dass das alles hier«, Maddie breitete die Arme aus und bekribbelte die Luft dazwischen mit den Fingern, »falsch verwendetes Geld ist. Vielleicht glauben Sie, dass Europa und Amerika seinerzeit die Malaria ja auch ohne Impfstoff losgeworden sind, den reiche Ausländer zusammenpanschen. Das habe ich früher auch geglaubt. Ich habe geglaubt, es gäbe

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