Liebe und andere Parasiten
Diabetes, las er, oder an Ertrinken; sie sterben deshalb, weil die von Allah zugemessene Lebenszeit abgelaufen ist. Der Traktat zitierte den Koran: »Wenn ihre Zeit ( adschal ) gekommen ist, dann können sie sie auch nicht um eine Stunde hinausschieben, noch können sie sie vorverlegen … Wo auch immer ihr seid, der Tod ereilt euch doch, und wäret ihr in hohen Burgen.«
Alex schaute auf. Ein junger Mann in einer Satin-Bomberjacke ging unter den Bäumen in die Hocke und versuchte, mit einem Feuerzeug die losen Fäden am Saum seiner Jeans zu verbrennen, aber es ging nicht an. Er stand auf, spazierte zu der Statue hinüber und fragte jemanden, den Alex nicht sehen konnte, ob er sein Feuerzeug leihen könne. Ein kleiner Hund kläffte, und ein Jack Russell, angezogen wie ein römischer Soldat, kam hinter dem Sockel hervor und sprang auf Alex zu.
»Gerasim!«, schrie eine Stimme, und Harry erschien, brennende Zigarre und Leine in der einen Hand, Feuerzeug in der anderen. Er gab das Feuerzeug dem jungen Mann, und der Geruch von Zigarrenrauch und schwelender Baumwolle verbreitete sich im Garten. Der Hund kam zu Harry zurückgetrottet, und der steckte sich die Zigarre zwischen die Lippen und hielt seinem Neffen die Leine hin.
»Leg ihm mal die Leine an, Alex, ja? Ich kann mich nicht bücken.« Er blickte sich um, als sähe er seine Umgebung zum ersten Mal. »Sie haben mich ins falsche Krankenhaus geschickt. Ich sollte in Barts sein.« Er hatte sichtlich abgenommen.
»Ich habe dich gesucht«, sagte Alex.
»Es ist nicht das Rauchen, das einem zur Sucht wird, es sind die ständigen Krankenhaustermine. Wenn man mal damit angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören.«
»Ich habe heute Morgen einen Anruf bekommen«, sagte Alex.
»Guck dir mal das an«, sagte Harry. Er führte Alex zu dem Sockel und zeigte ihm ein Bronzerelief. »Das ist Königin Alexandra«, sagte er und deutete auf das Abbild einer Frau mit Korsett und Haube, die sich über einen Patienten beugte, die Hände in einem Muff. »Weißt du, was das ist?« Er tippte mit dem Finger auf die Darstellung eines fassähnlichen Gebildes mit davon abgehenden teleskopartigen Röhren. Krankenschwestern setzten die Röhren an den Köpfen von Patienten an. »Das ist eine Finsen-Lampe. Sie haben damit Hauttuberkulose behandelt. Alexandra schenkte ihnen 1900 eine, die erste in Großbritannien. Dieser Finsen, nicht wahr, hat dafür den Nobelpreis bekommen, da war er erst zweiundvierzig. Nicht viel älter als du. Du guckst so säuerlich. Was wolltest du gerade über den Anruf sagen?«
»Ich habe heute Morgen einen Anruf vom Herausgeber von Nature bekommen.«
»Er ist ein Freund von mir.«
»Er sagte, du hättest ihm erzählt, ich würde mich zieren. Ich würde die Bedeutung meiner Arbeit vertuschen, ich würde nicht wirklich damit herausrücken wollen.«
»Der Kolumbus der menschlichen Zelle«, sagte Harry. »Er bricht auf, um Indien zu finden, und er entdeckt eine neue Welt. Aber er besteht weiter darauf, in Indien gelandet zu sein.«
»Er hat geredet, als wollte ich ihn um einen Knüller betrügen. Er sagte, du hättest ihm erzählt, ich hätte ein Mittel gegen das Altern entdeckt und wäre nur zu schüchtern, es auszusprechen. Ich wünschte, das hättest du nicht getan. Ich habe geschrieben, was ich schreiben wollte, und ich habe es dir nicht gezeigt, damit du es hinter meinem Rücken verdrehen kannst.«
»Dein Aufsatz erklärt, warum Zellen sterben. Menschen bestehen aus Zellen. Ergo erklärst du, warum Menschen alt werden und sterben.«
»Ich tue nichts dergleichen.«
In Harrys Augen glitzerte Furcht. »Du stellst nur die Verbindung nicht her zwischen deiner Entdeckung und der Verlängerung der menschlichen Lebenszeit. Es ist alles da! Du hast es selbst geschrieben! Du verbindest die Punkte nicht.«
»Ich versuche nicht, die menschliche Lebenszeit zu verlängern«, sagte Alex. »Sie ist auch so schon lang genug.«
»Meine nicht«, sagte Harry.
»Ich will verstehen, wie alles zusammenhängt«, sagte Alex. »So wie du es mir immer gesagt hast.«
Harry deutete auf seinen Unterleib, wo sein Tumor saß. »Ich hab vom Verstehen die Nase voll«, sagte er. »Es ist Zeit einzugreifen.«
»Aus meiner Arbeit ist nichts herauszuholen, was dir in deinem Zustand helfen würde, dazu muss man erst noch mal zehn Jahre im Labor rackern.«
»Was ist los mit dir? Willst du nicht die Kranken heilen? Warum sollten wir nicht zweihundert Jahre alt werden?«
»Unser Leben wird
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