Liebe und andere Parasiten
glaube, ich sollte nicht zurückkommen. Ritchie?«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Ritchie.
»Dass du das sagst, hätte ich nicht erwartet. Bist du gerade mitten in irgendwas drin? Es gibt so lange Pausen.«
»Das ist der Satellit«, sagte er. »Was du tust, ist wichtiger, als sich in London zu amüsieren. Es wäre egoistisch von mir, wenn ich deine hedonistische Seite unterstützen würde.«
»Sonst hast du mir immer gesagt, ich sollte hedonistischer sein.«
»Das war falsch.«
»Mum erwartet mich.«
Die Pause war so lang, dass Bec sich sicher war, sie wären getrennt worden. Der Regen ließ nach. Sie hörte Ritchies Stimme wieder, und es lag ein kindlicher Ernst darin, als ob es Themen gäbe, für die er ein kleiner Junge werden musste, um sich ihnen zu stellen.
»Ich habe in letzter Zeit öfter darüber nachgedacht«, sagte er. »Es spricht vieles für ein ruhiges Leben, ein einfaches, bescheidenes Leben.«
»Dann hätte ich dir keine Geschichten zu erzählen.«
Holte Ritchie zischend Luft?
»Das wäre nicht so schlimm, wenn du dabei mit deiner Arbeit vorankommen würdest«, sagte er.
»Ich werde dir nicht erzählen, was heute passiert ist.«
»Was ist passiert?«, sagte Ritchie nervös und wie aus der Pistole geschossen.
»Du hast gesagt, du wolltest meine Geschichten nicht hören.«
Ritchie wartete mehrere Herzschläge lang. »Erzähl«, sagte er mit einer eigentümlichen Gespanntheit.
»Der Sohn meiner Haushälterin ist an Malaria gestorben.«
»Oh«, sagte Ritchie. »Wie schrecklich.« In dem »Wie schrecklich « schwang das richtige Maß an Respekt und Mitgefühl, aber das »Oh « schien aus einem anderen Gespräch zu kommen. Ihr Bruder klang erleichtert oder enttäuscht, dass es nicht etwas anderes gewesen war.
27
Der Fahrer setzte Bec bei Tagesanbruch am Flughafen ab. Nach dem Start schlief sie ein und wachte erst auf, als sie schon im Landeanflug auf Heathrow waren. Beim Verlassen des Flugzeugs verschwamm ihr auf einmal alles vor Augen. »Nicht jetzt«, flüsterte sie. Aber H. gregi griff ihre Augen an, und sie musste im Gang stehen bleiben, während die anderen Fluggäste sie umströmten, dunkle Rümpfe mit Anhängseln, die durch einen Lichtsturm wirbelten. Sie wich zurück und lehnte sich an die Wand.
Die Symptome waren folgende: ein stechender Schmerz hinter der Stirn, ein starker Juckreiz in den Augen, das optische Bild der Welt in ein Schneetreiben zersplittert und dahinter Schwärze. In Momenten wie diesem, da sie auf dem Flughafen im Transitkorridor plötzlich die Blindheit befiel, fühlte sie sich als in sich abgeschlossene eigene Welt, allein im Universum und Sitz von Millionen winzigster Lebensformen, die um die Herrschaft über sie und über einander kämpften.
Sie zeichnete die Vorfälle auf und konnte kein Muster und keinen gemeinsamen Auslöser von H. gregis Attacken finden. In der Folge ihrer Entdeckung war es zu einer Aufteilung der wissenschaftlichen Beute gekommen. Bec war dem Einsatz des Haemoproteus gegen Malaria nachgegangen; die Nickells und andere hatten sich auf den Slum gestürzt, der in ihrer Nachbarschaft lag, und versucht, die Symbiose Mensch-Vogel-Parasit zu erforschen, ohne sie zu verändern. Die Fremden suchten nach Kräften zu verhindern, dass der Parasit in sie hineingelangte, und wenn es doch passierte, nahmen sie rasch Medikamente, um ihn wieder loszuwerden. Sie fürchteten um ihre Augen. Ein paar der älteren Slumbewohner hatten dauerhafte Netzhautschäden und saßen bei sich in der Tür, kauten Betel und versuchten, vorbeilaufende Kinder am Arm festzuhalten, um jemanden zum Reden zu haben. Bec vermied es, daran zu denken.
Ihres Wissens war sie der einzige Mensch in der nördlichen Hemisphäre, der H. gregi seinen Körper als Inkubator zur Verfügung stellte. Es bedurfte keiner besonderen Anstrengung, die zahlreichen Avatare ihres Vaters zu pflegen, nur dieser gelegentlichen Durchhalteproben; sie musste sie nicht füttern oder streicheln. Sie tat nicht mehr, als sie zu zählen und die Krisen zu protokollieren. Es hatte wenig mit dem Impfstoff zu tun. Ihre Kollegen meinten, sie habe keinen stichhaltigen wissenschaftlichen Grund, infiziert zu bleiben, wie sie es hartnäckig bezeichneten. Der Parasit gedeihe in vitro und werde in Laboren auf der ganzen Welt erforscht. Sie fanden, dass sie halsstarrig ein irrsinniges Risiko einging, nur um recht zu behalten und ihren Willen durchzusetzen. Sie sagte sich, dass der Tod geimpfter Kinder weniger schwer
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