Liebe und andere Schmerzen
...«
»Wieso?«, fragte ich verständnislos, weil mir noch nicht klar war, was sie eigentlich meinte. »Welche Aphrodite? Hieß deine Mutter nicht Sophia?«
»Sophia hat mich als ihre Tochter aufgezogen, mein Schatz, mit ihrem Mann Nikiforos. Meine wahre Mutter aber ist Aphrodite. Sie hatte eine ihrer vielen Liebschaften mit einem Sterblichen, wurde schwanger mit mir und musste mich dann ja irgendwo unterbringen.«
Jetzt verstand ich, was sie meinte, und dachte zuerst, dass sie sich mit diesem Stückchen einfach einen Spaß erlaubte. Ich lachte also amüsiert und sagte dann:
»Du kommst ja auf Sachen! Liest du gerade die Sagen? Oder Homer?«
Doch Melina blieb ernst.
»Ich denke mir keine Sachen aus, mein Junge. Das bleibt eher dir überlassen, du hast die größere Phantasie. Was ich dir hier erzähle, sind Tatsachen.«
Da es sich nicht so anhörte, als scherzte sie, wurde mir jetzt etwas mulmig zumute.
»Melina«, sagte ich vorsichtig, »du machst dich lustig über mich, oder?«
»Keineswegs.« Sie setzte sich etwas auf und wickelte das schneeweiße Bettlaken um ihren stattlichen Leib. »Das würde ich mir bei einem so sensiblen Jungen wie dir nie erlauben.«
»Ja, aber ...«
»Sophia und Nikiforos hatten einen Sohn, Michalis, den ihr alle kennt. Danach aber wollte jahrelang kein weiteres Kind mehr kommen, wie sie es sich wünschten, und sie hatten die Hoffnung schließlich aufgegeben. Deshalb legte Aphrodite ihnen ihr Neugeborenes in einem Körbchen vor die Tür ...«
Jetzt prustete ich laut heraus und konnte mich eine Weile vor Lachen kaum beruhigen.
»Mein Herzblatt«, sagte Melina nach einer Weile, noch immer völlig ernst, »ich bin nicht beleidigt darüber, dass du lachst. Nur, es hilft nichts, ich erzähle dir hier die volle Wahrheit. Und du bist jetzt der Einzige, der sie außer mir und meiner wahren Mutter kennt. Bedenke, welche Ehre dir zukommt!«
Jetzt wurde mir, nachdem der Lachkrampf nachließ, wieder mulmig ... Meinte sie das wirklich alles im Ernst? Glaubte sie tatsächlich an ein solches Ammenmärchen? Wer hatte ihr bloß einen solchen Bären aufgebunden ... ihre Mutter etwa? Das war doch nicht möglich! Sie war wohl doch nicht ganz normal, die Leute hatten recht!
»Ich weiß es nur von Aphrodite selbst«, erklärte sie jetzt, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Sie hat mich regelmäßig besucht, nachts, wenn niemand etwas merkte. Ich stehe unter ihrem Schutz. Und sie weiß, dass ich anders bin als gewöhnliche Frauen, und dass ich für die Liebe geboren bin. Natürlich, bei der Mutter! Und deshalb bin ich für euch da. Es ist die beste Schule der Liebe, die es geben kann.«
»Aber ... das kann doch alles nicht sein! Was sollen die Leute denn gesagt haben, dass deine Mutter urplötzlich ein neues Kind hatte?«
»Oh, sie behauptete, sie hätte ihre Schwangerschaft geheim gehalten, damit sie, nach so vielen Jahren des Hoffens, nicht der böse Blick träfe. Sie ging ja ohnehin kaum aus dem Haus.«
Ich sagte nun nichts mehr, ganz so wie jemand, der einen Verrückten einfach reden lässt. Jetzt lächelte sie, nahm meine Hand auf und küsste die Fingerspitzen. Dann sagte sie:
»Ich sehe, du glaubst mir nicht, mein Herz. Aber das macht nichts, denn es kommt der Tag, an dem du es glauben wirst. Wenn ich eines Tages sterbe, wird Aphrodite mich heimholen, es wird nichts von mir im Grab übrig bleiben. Spätestens dann wirst du dich daran erinnern, was ich dir heute anvertraut habe.«
»Und was ist das zweite Geheimnis, von dem du gesprochen hast?«, fragte ich sie, um dieses absurde Thema zu wechseln.
»Beim nächsten Mal«, antwortete sie. »Das ist ein Geheimnis, das dich betrifft ...«
»Mich? Stamme ich etwa auch von einer Göttin ab?« Ich musste wieder lachen.
»Nein, mein Schatz, obwohl es mich nicht wundern würde. Nein, es ist etwas ganz anderes. Aber heute reicht die Zeit nicht mehr. Das nächste Mal, wenn du kommst.«
Bis zum nächsten Besuch nahm ich mir allerdings etwas Zeit. Diese abstruse Geschichte, die Melina mir da erzählt hatte, ging mir nicht aus dem Kopf und ließ mich allen Ernstes an ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln. Oder bezweckte sie irgendetwas damit? Aber was? Sie erzählte mir doch normalerweise keine Märchen, wie man das bei Kindern macht, sie behandelte mich wie einen Erwachsenen. Irgendwann beschloss ich für mich selbst, dass sie eben leicht verrückt war. Irgendwo sind an dem Flickenteppich eines Rufs, den die Welt des Klatsches und
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