Liebe und andere Schmerzen
Tratsches so zusammennäht, vielleicht doch immer ein paar wahre Fasern – wenn nicht sogar der eine oder andere ganze Flicken.
Eine gute Woche später schlüpfte ich wieder durch die angelehnte Hintertür in Melinas Haus. Es trieb mich die Sehnsucht nach der vertrauten Wärme unserer Zweisamkeit. Was kümmerte es mich, dachte ich, dass ihr Verstand hier und da vielleicht schillernde Seifenblasen hervorbrachte! Ich hatte auch nicht das ›zweite Geheimnis‹ vergessen, das mich betreffen sollte und das sie mir beim nächsten Besuch offenbaren wollte. Die Neugier kitzelte mich. Was für ein Sagengespinst würde mich wohl diesmal erwarten?
Ich fand sie in der Küche, wo sie am Tisch saß und gerade einen Mokka schlürfte. Sie begrüßte mich mit mehreren kleinen ›Luftküssen‹ und ihrem warmherzigen Lächeln.
»Setz dich, mein Liebling.« Sie schob mir mit dem Fuß einen Stuhl unter dem Tisch zu.
Ich setzte mich, so dass wir uns wie am allerersten Tag an ihrem Küchentisch gegenübersaßen. Sie griff nach meiner Hand und küsste nacheinander die Fingerspitzen, wie es ihre Gewohnheit war. Dann ließ sie ihren Blick wie prüfend über mein Gesicht gleiten, während sie weiter an ihrem Mokka nippte. Schließlich setzte sie das Tässchen ab und schob es zur Seite.
»Was hast du so gemacht in der vergangenen Woche?«, fragte sie.
»Och, nichts Besonderes ... Schule, Hausaufgaben, Lesen, Radfahren. Und Schwimmen. Das Meer ist noch so schön warm!«
»Alles allein? Oder mit Freunden?«
»Ich ... ach, mal so, mal so. Meistens allein ...«
»Du bist schon jetzt ein einsamer kleiner Wolf. Pass nur auf, dass aus dir kein Eremit wird!«
Ich zuckte gleichgültig mit den Achseln.
»Du willst sicher heute dein Geheimnis erfahren, nicht wahr?«, sagte sie dann, als wollte sie das Thema wechseln.
Ich nickte und grinste.
»Ich bin gespannt! Vor allem, weil jemand ein Geheimnis über mich wissen soll, das ich selbst nicht kenne!«
»Tief in deinem Innern kennst du es, mein Schatz ... du hast es nur noch nicht aus seinem dunklen Versteck herausgelassen und ans Licht deines Bewusstseins geholt.« Sie stand auf, öffnete den Küchenschrank und nahm eine Flasche mit Zitronenlikör und zwei Schnapsgläser heraus. »Lass uns ein Gläschen zusammen trinken. Der Likör ist mild und schadet dir nicht.«
Sie füllte die Gläschen, reichte mir meines, und wir stießen miteinander an und nippten den ersten Schluck.
»Feiern wir etwas?«, fragte ich dann.
»Vielleicht ... das kommt auf dich an.« Sie setzte das Gläschen ab, an dem jetzt der Abdruck ihres mohnblumenroten Lippenstifts haftete. Dann fragte sie unvermittelt: »Sag mal, mein Herz, an wen denkst du, wenn du an Liebe denkst?«
Im ersten Augenblick wusste ich mit dieser Frage nichts anzufangen und schaute sie ratlos an.
»Naja, an dich natürlich ...«, erklärte ich dann, weil ich dachte, dass sie das vielleicht hören wollte.
Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist natürlich Unsinn, und das weißt du selbst.« Sie machte eine kleine Pause und drehte das Likörgläschen zwischen ihren Fingern hin und her. »Wir beide haben eine wunderschöne, heimliche Freundschaft, mit Leib und Seele. Aber das hat nichts mit deiner Zukunft zu tun. Ich habe dich nur mit deinem eigenen Körper bekannt gemacht und seine Knospen zum Leben erweckt ... aber die gehören nicht mir. Sie werden mal jemand anderem gehören, den du wirklich lieben wirst ...«
»Meiner zukünftigen Ehefrau, meinst du«, sagte ich, jetzt etwas gelangweilt, da ich dachte, sie würde mir nun irgendeinen Vortrag mit Ratschlägen über mein zukünftiges Eheleben halten.
Melina sagte nichts darauf und sah mich nur an. Dann fragte sie erneut:
»Also, mein Liebchen – an wen denkst du, wenn du an Liebe denkst? Hast du schon mal ein bestimmtes Mädchen im Sinn gehabt? Aus deiner Schule etwa oder aus der Nachbarschaft?«
Ich dachte nach. Aber es wollte mir keine einfallen, die – so wie Kosta die ›Kleine aus der Parallelklasse‹ – je meine Gedanken beschäftigt hätte. Das fiel mir nun zum ersten Mal auf und kam mir seltsam vor. Denn außer Kosta hatten auch alle andern Jungs um mich herum schon mal von dem einen oder anderen Mädchen geschwärmt oder seufzende Bemerkungen gemacht.
»Nein ...«, antwortete ich schließlich. »Aber das liegt eben daran, dass ich dich habe ... da kommt mir gar nichts anderes in den Kopf!«
»Mein Herz«, sagte sie sanft und nahm einen Schluck aus ihrem Gläschen. »Nun
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