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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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Not einen Stehplatz an einer Wand gefunden hatte, wo er sein Bier auf einem Mauervorsprung abstellen konnte. Es spielte – für eine Schwulenbar sehr untypisch – ›Bedshaped‹ von Keane. Was für eine Hymne, was für eine geile Nummer für einen vollendenden, feuchten, heißen Fick! Und genau während dieses Songs war der überaus hübsche Jeremiah ins Lokal gekommen. Er war nicht einfach nur schön. Er war – und das war sofort und klar ersichtlich – sich seiner Schönheit vollkommen bewusst. Er bewegte sich graziös und funkelte vor Lebendigkeit. Er trug eine verblichene Militärhose und ein olivgrünes Tanktop. Er sah aus, als ob er gerade nach einem langen Tag am Baggersee direkt hierhergekommen wäre, noch ganz erhitzt von der Sonne und duftend nach Seewasser, Wärme und einem Hauch Sonnenmilch. Die beengende Brandung aus dampfenden Körpern von mehr oder weniger jungen Männern, die ihre T-Shirts ausgezogen und nachlässig in den Bund der Hose gesteckt hatten, sodass ihnen die gebügelten Leibchen wie Lappen am Hosenbund herabhingen, bugsierte und spülte den Fremden direkt zu Carl. Sie berührten sich an den Handgelenken, als die Massen sie aufeinander zuschoben. Diese kurze Berührung zauberte ein Lächeln auf Carls Gesicht, das durch ein blitzartiges Grinsen des Jungen erwidert wurde.
    Noch vor zwei Jahren hatte Carl hier den gleichen – fast den gleichen – Effekt erzielt wie dieser Neuankömmling. Doch zwei Jahre in der Szene waren auf jeden Fall verheerender als zwei Jahre in der IT-Branche: Alles überholte sich und die Zeit arbeitete unerbittlich gegen einen. Nach zwei Jahren gehörte man bestenfalls zum Interieur und wurde akzeptiert, aber nicht mehr begehrt. Nicht wirklich. Carl fürchtete sich davor, zu einem jener Männer mittleren Alters zu werden, die in schwulen Clubs herumhingen und sich mit Zwanzigjährigen anfreundeten, nur um mit ihnen gemeinsam auf den Partyfotos abgelichtet zu werden, die man später als Trophäen herzeigen konnte.
    Carl sah ihm nach, als er sich zur Bar durchschlängelte, sich zwischen zwei laut kichernde Jungs an den Tresen schob und sich etwas zum Trinken bestellte. Zu der Schönheit des Jungen kam noch diese merkwürdige Ausstrahlung von Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein, wie man sie normalerweise nur bei älteren, bühnenerprobten Stars fand.
    Ein wenig später standen sie wieder nebeneinander. Sie lächelten sich zuerst von der Seite und dann offensiv an. Sein Grinsen war gleichermaßen niedlich wie herausfordernd. Dann redeten sie. Und Carl war verblüfft, mit wie viel Eleganz der Junge, der sich Jeremiah nannte, alle Klippen und Untiefen direkter Antworten umschiffte. Sie redeten belangloses Zeug aus reiner Höflichkeit, um die wahren Beweggründe nicht all zu offensichtlich auszuspielen. Sie berührten sich hin und wieder, jedes Mal ein bisschen weniger unabsichtlich.
    Eine Stunde später standen sie eng beisammen und küssten sich mit schamloser und freudiger Begierde – sie leckten sich die Gesichter nass und Jeremiah spuckte Carl neckisch in den Mund, während er unter dem hochgeschobenen T-Shirt seine Brustwarzen zwischen den Fingern drehte. Jeremiah schmiegte sich an ihn und holte sich mit einem atemberaubenden Zungenkuss seine Spucke zurück. Das war für Carl so fremd und neu, dass es ihn auf der Stelle in den Warnbereich seiner eigenen Erregung stürzte. Der Warnbereich hieß: Liebesgefahr. Rotalarm. Carl spürte, wie sein Interesse an Jeremiah noch in diesen Minuten weit über das Ziel des One-Night-Stands hinaus schoss.
    Kurz nach dieser neuen und nassen Version des Kusses bezahlten sie bei dem restlos gestressten älteren Typ an der Bar ihre Rechnungen und verließen gemeinsam das Nachtlokal. Sie spürten die neidvollen Blicke, die gehässig herabgezogenen Mundwinkel – beinahe konnten sie das Quietschen enttäuschter Sehnsüchte hören, als sie zu Jeremiahs Wagen gingen, der auf dem großen Parkplatz gegenüber des Lokals im tiefen Schatten alter Nussbäume stand.
    Carl war nie aufgefallen, dass es hier Bäume gab. Tagsüber war der Parkplatz eine Marktfläche; nach achtzehn Uhr konnte man hier bis sieben Uhr früh kostenlos parken. Nachdem ihm die Nussbäume aufgefallen waren, registrierte Carl, dass er nicht wusste, in was für einem Auto er da saß. Bautyp und Design waren ihm völlig unbekannt. Es könnte sich um eine englische Limousine handeln, ganz sicher war er sich da nicht, wollte aber auch nicht fragen, um nicht dumm

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