Liebe und andere Schmerzen
Gebäude schmiegte. Dahinter ächzte und knarrte der tiefe Wald in der warmen und sanften Brise, die Gruselschatten über den Himmel verteilte. Carl war beeindruckt.
Nachdem er das Auto abgestellt hatte und sie ausgestiegen waren, führte Jeremiah ihn über den Parkplatz, in dessen Zentrum ein Steinbrunnen stand, zu der Empore des Haupteingangs. Als Jeremiah aufsperrte und etwas von Diplomateneltern murmelte, hörte Carl nur halb hin. Irgendetwas stimmte hier nicht. Carl spürte einen neuen, aber gedämpften Anflug von Unbehagen, konnte sich aber nicht erklären, woher das kommen könnte. Er kannte diese negativen Auswirkungen von Kokain, wenn man irgendwie auf den falschen Trip kam. Aber das geschah ihm in der Regel nur, wenn er zu viel kokste. Mit Jeremiah hatte er auf dem Spülbecken der Toilette in der Bar zwei Lines gezogen. Und die waren gut gewesen. Echt gut.
Aber hier und jetzt, auf diesem italienischen Marmorboden, in dieser sakralen Halle, die in eine weiße Marmortreppe mündete, kletterte kalte und eindringliche Angst in ihm hoch. Er wusste nicht, wovor er sich fürchten sollte. Ihm schien es, als wäre irgendwo etwas Totes zu neuem, jammervollen Leben erwacht.
Jeremiah verschwand für eine Minute und kam dann mit zwei Flaschen gut gekühltem Bier zurück. Ein paar Minuten später waren sie über die Empore hinauf, in einen mit einem dicken Teppich ausgestatteten Korridor und in ein Zimmer gegangen, dass Carl an die brüchige Eleganz alter italienischer Spielfilme erinnerte. Hier hatte sich Jeremiah völlig zwanglos das lockere Tanktop ausgezogen, sich über den edlen, alten Porzellanwaschtisch gebeugt und wusch sich jetzt das Gel aus den Haaren.
Carl fand, dass er noch nie etwas Erotischeres gesehen hatte als diesen Jungen, dessen nasses, schwarzes Haar wie mit Diamantenstaub bestäubt im Kerzenlicht funkelte und duftete wie ein seidenglatter Sommertag. Allein wie diese alte, sicher in einem US-Armyshop gekaufte, Springerhose passte, obwohl sie eigentlich nicht passte, war aufsehenerregend.
Jeremiah rubbelte sich die Haare trocken, schüttelte mit einem süßen Grinsen in den Spiegel, das Carl galt, den Kopf und wirkte so niedlich und so geil, dass sich Carl von hinten an ihn schmiegte und beschloss, es zuzulassen, wenn sich heute am frühen Morgen, vor dem Schimmer des ersten Zwielichts, etwas mehr als bloße Lust einstellen sollte.
Jeremiah drehte sich in der Umarmung zu Carl um, leckte über seine Schulter und rieb sein Becken aufreizend an ihm. Carl spürte, wie erregt Jeremiah war, wie erregt er selbst war, und in dieser Erregung tanzten sie einen bezaubernden kleinen Walzer bis zum ungemachten, nach grünen Äpfeln duftenden Bett.
Sie verknoteten sich, sie entknoteten sich, sie leckten sich überall und sie drangen tief ineinander ein – sie küssten sich zuerst mit wilder Leidenschaft und später mit befriedigter Ruhe. Sie glichen zwei gespannten Seilen, die sich umeinander schlangen. Dann taten sie es wieder, während draußen der Tag herandämmerte und graues, stählernes Licht durch die Seidengardinen warf, die sich leicht in der Morgenbrise bewegten.
Als sie still nebeneinanderlagen und Carl nach den richtigen Worten suchte, um das Geschehene zu verlängern, zu vertiefen und zu einem Bestandteil seines zukünftigen Lebens zu machen, änderte sich etwas. Er wusste zuerst nicht, was es war, aber irgendetwas verschob sich um einen Deut. Es war der Geruch. Der angenehme Duft von frischen Äpfeln, der vom Proteingeruch ihres Spermas bereichert worden war, wich einem schalen, rauchigen Geruch, als ob etwas gebrannt hatte und gelöscht worden war. Es roch nach nasser Asche. Der Geruch wehte von draußen herein. Carl rappelte sich auf und orientierte sich im Zimmer. Was in der Nacht noch wildromantisch und italienisch gewirkt hatte, sah jetzt im frühen Licht des Morgens klebrig, heruntergekommen und verlottert aus. Die Gardinen hingen kraftlos und schlapp herab und rochen modrig. Das Bettzeug war nicht mehr wie frisch aus der Waschmaschine, sondern ranzig, feucht und roch nach Moder und altem Schweiß.
Als er sich Jeremiah zuwandte, atmete Carl leise auf. Der Junge – er schätzte ihn auf achtzehn oder neunzehn Jahre, also in seinem Alter – sah genauso hinreißend aus wie zuvor. Er hatte bezaubernd ausgesehen, als sie sich in der Bar kennengelernt hatten, und er hatte im Bett bezaubernd ausgesehen, als er ihn mit weit offenem Mund küsste und küsste und küsste, seine Schenkel spreizte
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